Das Hohelied des Todes
Glauben an deine Religion beneidet«, sagte Decker.
»Es ist auch deine Religion.«
Er schüttelte den Kopf. »Irgendwann vielleicht, aber jetzt noch nicht. Sieh es doch einmal von meiner Warte, Rina. Meine jüdischen Eltern wollten mich nicht. Meine baptistischen Eltern haben mich großgezogen und geliebt.«
Rina sah ihn an und nahm seine Hand. »Macht es dir noch sehr viel aus?«
»Eigentlich nicht. Meine Mutter war noch ein Kind – fünfzehn Jahre alt. Ich kann ihr nicht übelnehmen, was sie getan hat. Es sind nicht die alten Wunden, die es mir so schwer machen, zum Judentum zu finden, Rina. Es ist der Glaube. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich überhaupt an Gott glaube, ganz zu schweigen von einer strukturierten Religion. Ich würde deine Gefühle für den jüdischen Glauben gern teilen, aber ich kann es nicht. Wenigstens jetzt noch nicht.«
»Dann wird es sehr schwer für uns werden.«
»Das sehe ich auch so«, sagte er müde. »Wie soll es also nun weitergehen?«
»Ich weiß nicht.«
»Toll.«
»Aber ich weiß, was ich eigentlich tun müßte«, sagte sie leise. »Ich müßte dich wegschicken.«
»Möchtest du das?«
»Nicht für immer, aber vielleicht für ein Jahr oder so lange, wie es nötig wäre. Studiere die Tora. Lerne, was es heißt, ein gesetzestreuer Jude zu sein. Vielleicht änderst du deine Meinung ja doch noch. Ich liebe dich. Ich werde auf dich warten.«
»Ein Jahr?«
»Ein Jahr geht schnell vorüber. Rabbi Akiva hat seine Frau vierundzwanzig Jahre allein gelassen, um die Tora zu studieren.«
»Ein ganzes Jahr?« Er schüttelte den Kopf. »Schatz, das hört sich jetzt bestimmt nicht sehr fromm an, aber es würde mir äußerst schwerfallen, ein ganzes Jahr lang enthaltsam zu leben.«
Sie senkte den Kopf.
»Ich weiß. Daran habe ich auch schon gedacht, aber was sollen wir sonst machen?«
»Ich liebe dich, Rina, und ich könnte keine Frau mehr lieben als dich. Das weiß ich sicher. Und ich weiß auch, daß du für mich genauso empfindest.«
»Ja.«
Er seufzte, und dann brach es aus ihm heraus. »Laß uns heiraten. Alles andere löst sich mit der Zeit von selbst.«
»Peter, wenn du ein gesetzestreuer Jude wärst, würde ich dich lieber heute als morgen heiraten. Aber so, wie du zur Orthodoxie stehst, wäre eine Ehe der reine Selbstmord. Wir sind beide schon einmal verheiratet gewesen. Du weißt selbst, daß in der Ehe die Unterschiede nicht kleiner, sondern größer werden.«
»Ich kann damit leben, daß du religiös bist«, sagte Decker. »Und du mußt mich eben auch so akzeptieren, wie ich bin.«
»Das würde nie gut gehen.«
»Doch, du müßtest es nur wollen.«
»Nein, es wäre nicht möglich.«
»Verdammt, Rina«, sagte er wütend. »Wenn du mich wirklich liebst, gibt es immer einen Weg!«
Sie schlug die Hände vors Gesicht und fing an zu weinen. Decker zog sie an sich, damit sie sich an seiner Schulter ausweinen konnte.
Scheiße!
»Ich würde alles für dich tun, Rina, das weißt du. Aber ich kann an meinen Gefühlen doch auch nichts ändern.«
Laut schluchzend klammerte sie sich an ihn. Decker kam die Magensäure hoch, und in seinen Schläfen pochte es. Allmählich bereitete ihm sein Elend eine fast masochistische Befriedigung. Alles in seinem Leben ging daneben.
»Schatz, ich liebe dich. Ich will dich heiraten. Aber ich glaube einfach nicht, daß ich jemals ein so religiöser Mensch sein werde, wie du ihn dir wünschst. Wenn du damit leben kannst, ist alles im Lot.«
Sie schwieg.
»Aber du kannst damit nicht leben, richtig?«
»Ich könnte mein Leben hier nie aufgeben …«
»Das verlange ich ja auch gar nicht. Ich möchte nur, daß du mich so nimmst, wie ich bin.«
Sie sagte noch immer nichts.
Irgendwann wurde Decker das gespannte Schweigen zu viel.
»Hat Jakey noch Alpträume?« fragte er.
»Ziemlich oft sogar«, antwortete Rina leise.
»Vielleicht solltest du mit ihm zu einem Therapeuten gehen«, schlug Decker vor.
Rina funkelte ihn an.
»Ich weiß selbst, was für mein Kind das beste ist. Herzlichen Dank«, sagte sie.
»Ich fahre jetzt wohl besser nach Hause«, meinte Decker. »So kommen wir doch nicht weiter.«
»Wenn du bei jedem Problem immer gleich gehst, kommen wir nie weiter.«
Decker biß die Zähne zusammen. Dann zündete er sich eine Zigarette an.
»Du willst, daß ich es ausspreche? Das kannst du haben«, sagte er, langsam den Rauch durch die Lippen blasend. »Wir sind an einem toten Punkt angelangt. Vielleicht wäre es besser,
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