Das Hohelied des Todes
wenn wir uns beide auch mal mit jemand anderem treffen würden.«
Tränen stiegen ihr in die Augen.
»Was meinst du dazu?« fragte er.
»Es gefällt mir nicht.«
Eine Minute blieb es still im Zimmer, dann brach Rina das Schweigen.
»Wenn wir uns nicht mehr sehen, würdest du dann trotzdem noch beim Rabbi Unterricht nehmen?« fragte sie.
»Nein«, antwortete Decker.
»Dann interessierst du dich überhaupt nicht für unsere Art von Leben?«
»Nein«, antwortete er. »Auf jeden Fall kommt es für mich im Moment nicht in Frage.«
»Das heißt also, wenn du dich nicht mehr mit mir triffst, hörst du auf, deinen Glauben zu praktizieren?«
»Ja.«
»Aber wenn wir heiraten, wärst du mir zuliebe religiös?«
»Anfangs bestimmt. Aber ehrlich gesagt, kann ich mir sehr gut vorstellen, daß ich es nicht lange durchhalten würde. Allerdings würde ich dir auch nie in deinen Glauben reinreden.«
»So eine Heuchelei wäre ein schlechtes Beispiel für die Jungen. Wie soll ich sie zu gläubigen Menschen erziehen, wenn ich einen nichtreligiösen Mann heirate?«
»Da hast du nicht unrecht.«
Sie saß reglos da.
»Ich komme dir doch schon auf halbem Wege entgegen, Rina. Ich bin bereit, dich dein Leben leben zu lassen. Wenn du bloß nicht so streng wärst …«
»Aber ich habe keine andere Wahl!« rief sie. »Ich will keine Heuchlerin sein. Ich will einen religiösen Mann. Was ist denn daran auszusetzen?«
»Nichts. Aber das bin ich nun einmal nicht.« Decker seufzte. »Hör mal, im Augenblick sind wir beide ein bißchen durcheinander. Vielleicht braucht einfach nur jeder etwas mehr Zeit für sich, eine Denkpause …«
»Ich will mich aber mit keinem anderen Mann treffen«, antwortete sie.
»Vielleicht geht es mir ja ganz genauso«, sagte er. »Aber ich will, daß wir uns alle Möglichkeiten offenhalten … nur für den Fall des Falles. Damit wir beide wissen, wo wir stehen.«
Sie starrte an die Wand und antwortete nicht. Decker wartete einen Augenblick. Aber als sie weiter schwieg, stand er auf und ging.
»Da wollte wohl einer nicht, daß wir unsere Nase in seine Angelegenheiten stecken«, sagte Marge zu Decker.
Es war Freitag morgen, neun Uhr. Sie hockte auf seinem Schreibtisch und trank Kaffee. Die Füße auf der Tischplatte, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, starrte Decker an die Decke.
»Oder es wollte jemand Beweismaterial vernichten«, fügte sie hinzu.
»Aber warum hat er dann den Laden in die Luft gesprengt?« fragte er. »In dem unterirdischen Raum hätte die Bombe doch viel mehr Schaden angerichtet. Ich glaube, es sollte eine Warnung sein. Wenn uns wirklich jemand aus dem Weg räumen wollte, hätte er es längst gemacht. Ich muß mit den Kollegen aus Culver City reden. Sobald sie die Überreste der Bombe analysiert haben, wissen wir mehr.«
»Sei vorsichtig, Peter.«
»Das habe ich vor.«
Mike Hollander kam herein und legte Decker einen braunen Briefumschlag auf den Tisch. Der Absender war ein gewisser Dr. Arnold Meisner.
»Bitte schön, Rabbi«, sagte Hollander. »Frisch aus der Presse.«
»Hör endlich auf, mich Rabbi zu nennen.«
Hollander sah ihn an. »Du solltest mal wieder richtig ausschlafen, Pete.«
»Wer ist denn nun wieder Arnold Meisner?« fragte Marge.
»Ein Mediziner, der früher in der Praxis von Dustin Podes Kinderarzt mitgearbeitet und sie nach seinem Tod übernommen hat«, sagte Hollander. »Er war so nett, diese Unterlagen für uns auszugraben.«
»Wie hast du denn Dustins Kinderarzt ausfindig gemacht?« fragte Decker.
»Ich habe Dustin gefragt«, antwortete Hollander.
Decker lachte.
»Der direkte Weg«, sagte er.
»Ist immer der beste«, ergänzte Hollander. »Der kleine Dustin war so damit beschäftigt, seinen Vater in Schutz zu nehmen – die Razzia nannte er eine Falle –, daß er über die Frage direkt erleichtert war. Endlich mal etwas, was er wahrheitsgemäß beantworten konnte.«
»Was willst du denn mit seiner Krankengeschichte?« fragte Marge Decker.
»Ich halte große Stücke auf theoretische Modelle«, antwortete er. »Es wäre schön, wenn er Bettnässer gewesen wäre. Bettnässen geht normalerweise mit Brandstiftung und Tierquälerei Hand in Hand.«
»Das alte psychopathische Dreieck«, sagte Hollander.
»Das alte psychopathische Dreieck«, wiederholte Decker, in der Akte blätternd. Marge sah ihm über die Schulter.
»Ich kann es nicht ausstehen, wenn einer mitliest«, sagte Decker barsch.
»Ich bitte vielmals um Verzeihung«, sagte Marge
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