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Das Hohelied des Todes

Das Hohelied des Todes

Titel: Das Hohelied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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die Bibel auf. Es war ihm nicht entgangen, daß Decker mit leeren Händen gekommen war.
    »Wo ist Ihr Chumasch?« fragte der alte Mann.
    »Ich habe ihn nicht mitgebracht.«
    Der Rabbi schloß das in Leder gebundene Buch wieder und wartete auf eine Erklärung.
    »Ich habe heute treife gegessen«, sagte Decker.
    »Und womit haben Sie gesündigt?« fragte Schulman.
    »Mit einem Big Mac.«
    »War er gut?«
    Decker mußte schmunzeln.
    »Eigentlich war es gräßlich. Nicht, daß mit dem Fleisch etwas nicht in Ordnung gewesen wäre, aber ich konnte ihn trotzdem kaum schlucken.«
    »Hmmm«, machte Schulman. »Wenn Sie schon treife essen mußten, warum haben Sie sich dann nicht lieber eine Delikatesse gegönnt – Hummer, Krabben, Filet Mignon?«
    Decker zuckte mit den Schultern.
    »Das habe ich noch nie verstanden«, sagte Schulman sinnierend. »Wenn Bochrim vom rechten Pfad abweichen, sündigen sie immer auf die banalste Art und Weise. Statt mit einer schönen Frau Ehebruch zu begehen, suchen sie sich die häßlichste Sona weit und breit aus. Statt im edelsten Restaurant in L. A. zu essen, gehen Sie zu Pizza Hut. Was für eine Phantasielosigkeit. Das widerspricht doch jeder Logik. Warum sind Sie so tief gesunken, Peter?«
    »Ich weiß nicht. Aber wenn man sich schon selbst erniedrigt, macht man das wohl nie besonders stilvoll.«
    Der alte Mann lächelte.
    »Guter Freund, ich unterhalte mich wirklich gern mit Ihnen, aber wir sind hier schließlich nicht im Beichtstuhl. Ich bin Lehrer. Wenn Sie lernen wollen, unterrichte ich Sie. Wenn Sie den Sinn des Lebens suchen …«, Schulman zeigte nach oben, »… wenden Sie sich an ihn.«
    »Ich wäre heute fast in die Luft gesprengt worden, Rabbi. Bei einer Bombenexplosion wäre ich um ein Haar getötet worden. Da dachte ich, das wäre vielleicht ein guter Zeitpunkt, um mir über einiges klar zu werden. Ich habe mich heute zwei Stunden hingesetzt und gebetet, Rabbi. Ich habe gebetet, meditiert, nachgedacht, und ich bin zu folgendem Schluß gekommen. Trotz der Geschichte heute habe ich manchmal das Gefühl, daß Gott allgegenwärtig ist. Ich spüre ihn, wo ich auch bin, was ich auch tue. Aber oft denke ich auch, es gibt keinen Himmel, nur eine löchrige Ozonschicht. Ich bin kein Agnostiker. Ich erwarte nicht, daß Gott herabsteigt und mir seine Existenz beweist, denn ab und zu bin ich ja schließlich überzeugt davon, daß es ihn gibt. Ich kann auch nicht erklären, warum ich mich einen Augenblick wie ein zutiefst gläubiger Mensch und im nächsten wie ein völliger Atheist fühle. Kurz gesagt, manchmal habe ich Zweifel.«
    Der alte Mann sah ihn eine Zeitlang reglos an, dann streckte er ihm die Hand hin.
    »Herzlich willkommen im Club, Peter.«

20
    »Ich weiß, daß es schon spät ist«, sagte Decker. »Ich bleibe auch nicht lange.«
    Rina blieb erst noch einen Augenblick auf der Türschwelle stehen, dann aber trat sie doch zur Seite und ließ ihn ins Haus. »Hattest du heute abend Unterricht bei Rav Schulman?«
    »Ein bißchen.«
    Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und diesen Blick in den Augen. Decker hatte ihn bei Jan zigmal gesehen. Was war es? Feindseligkeit? Verachtung? Verletztheit? Wahrscheinlich von allem etwas. »Hättest du vielleicht eine Tasse Kaffee für mich?«
    »Ich kann dir schnell einen aufbrühen.«
    »Mach dir keine Umstände.«
    Plötzlich sah sie nicht mehr trotzig aus, nur noch traurig. Decker wurde das Herz schwer. Mit ihrer Wut konnte er umgehen, mit ihrer Melancholie nicht. Er kam sich wie ein Volltrottel vor.
    »Aber das mach’ ich doch gern«, sagte sie leise. »Möchtest du etwas essen?«
    Seine Kehle war wie zugeschnürt. Er konnte nur den Kopf schütteln. Als sie schon fast in der Küche war, rief er sie mit heiserer Stimme zurück.
    »Was ist?« fragte sie.
    »Laß den Kaffee«, sagte er. »Komm her und setz dich.«
    Sie tat ihm den Gefallen.
    »Ich hab’ dir ein Friedensangebot mitgebracht.« Er hielt ihr ein flaches, in goldgeprägtes Geschenkpapier eingewickeltes Päckchen hin, aber sie wollte es nicht annehmen.
    »Bitte«, bat er. »Viel ist es nicht, aber es ist ein Anfang.«
    Langsam streckte sie die Hand danach aus.
    »Mach es auf.«
    Zögernd schlug sie das Papier auseinander, und ein silberner Bilderrahmen kam zum Vorschein.
    »Danke«, sagte sie kaum hörbar.
    Er nahm ihr den Rahmen aus der Hand.
    »Die Größe müßte stimmen. Wo hast du das Bild, Rina?«
    Sie holte ihr Hochzeitsfoto aus einer Schublade. Decker schob es

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