Das Hospital der Verklärung.
drücken.
»Die Kugeln kann er doch nicht abhalten«, erwiderte der Mann trocken. »Aber was soll man mit solchen schon anfangen.«
»Also dann vielen Dank auch …«, wiederholte Stefan ratlos.
Der Bauer blieb noch eine Weile stehen, sagte dann: »Na, schlaft gut …«, schloß das Tor und ging.
Stefan stand an der Schwelle. Er streckte die Arme auswie ein Blinder: Seit je konnte er sich im Dunkeln nur schlecht zurechtfinden. Weiter hinten war die Nosilewska damit beschäftigt, Stroh zusammenzutragen. Er warf das triefende, kalte und schwere Jackett ab, das ihm am Rücken klebte. Am liebsten wäre er mit den Hosen genauso verfahren. Er stürzte beinahe über eine Deichsel. Dabei stieß er auf seinen Koffer. Richtig, seine Taschenlampe war doch darin! Als er das Schloß ertastet hatte, durchsuchte er den Koffer und fand den gesuchten Gegenstand sowie eine Tafel Schokolade. Er legte die brennende Lampe auf den Boden und holte Sekulowskis Papiere aus der Tasche. Die Ärztin breitete eine Decke über das Stroh. Er setzte sich auf den äußersten Rand und strich die Bläter glatt. Auf dem ersten waren ein paar Worte hingeworfen. In der blauen Liniierung gebärdeten sich die Schriftzüge wie in einem Fangnetz. Oben stand der Name, darunter der Titel »Meine Welt«. Stefan wendete das Blatt um. Es war unbeschrieben. Die folgenden ebenfalls. Alle, alle waren sie blank und leer.
»Nichts …«, sagte er. »Es steht nichts darin …«
Ihn packte eine solche Angst, daß er sich zur Nosilewska umsehen mußte. Sie saß zusammengekauert unter ihrem Plaid und warf nacheinander Bluse, Rock und Unterwäsche ab; alles troff vor Nässe.
»Leer …«, wiederholte er. Er wollte noch etwas sagen, brachte aber nur ein heiseres Stöhnen heraus.
»Komm her.« Er blickte zu ihr auf. Sie war dabei, ihr Haar auszuwringen, das ihr in dunklen Wellen auf den Rücken fiel.
»Ich kann nicht«, flüsterte er. »Ich mag nicht daran denken. Der Kleine. Und Sekulowski … Staszek ist schuld … Er war es …«
»Komm«, wiederholte sie ebenso sanft, fast schläfrig. Er sah sie erstaunt an. Sie zog ihren nackten Arm ausder Decke und streichelte ihn wie ein Kind. Da beugte er sich über sie.
»Ich bin bankrott … wie mein Vater …«
Sie schlang die Arme um ihn, strich über sein Haar. »Denke nicht …«, flüsterte sie. »Denk an gar nichts.«
Er fühlte ihre Brüste, ihre Hände hielten seinen Kopf. Es war eigentlich kein Licht, nur die verlöschende Taschenlampe, die zwischen die Ähren im Stroh geraten war, warf trüb flackernd einen von Schattenstreifen durchkämmten Schein. Er hörte den langsamen, ruhigen Schlag ihres Herzens, das zu ihm in einer altgewohnten, unmißverständlichen Sprache zu sprechen schien. Noch immer tauchten jene anderen Gesichter vor seinem inneren Auge auf – da küßte sie ihn zart, wie ohne Atem, auf den Mund.
Dunkelheit umhüllte sie. Da war das Strohknistern unter der haarigen Decke und das Weib, das ihm zu Willen, aber es war nicht so, wie das sonst geschieht. Sie hatte sich selbst und ihn in jedem Augenblick in der Gewalt. Als er dann erschöpft ihren schönen Leib ohne eine Spur von Leidenschaft, aber mit der ganzen Kraft der Verzweiflung umfing, brach er über ihrer Brust in Tränen aus. Schließlich beruhigte er sich und sah sie an. Sie lag auf dem Rücken, etwas höher als er, und im ersterbenden Licht atmete ihr Antlitz Frieden. Er wagte nicht zu fragen, ob sie ihn liebe. Sich so zu opfern, als gebe man einem Fremden den letzten Bissen, war mehr als Liebe. Er hatte also auch sie nicht gekannt. Plötzlich ging es ihm durch den Sinn, daß er eigentlich gar nichts von ihr wußte, nicht einmal ihren Vornamen. Leise sagte er: »Hör doch …«
Aber sie schloß ihm mit ihrer weichen und doch so resoluten Hand den Mund. Dann wischte sie ihm mit einem Deckenzipfel die Tränen ab und küßte ihn leicht auf die Wange.
Da fiel sogar die Neugier von ihm ab, so daß er inden Armen dieses fremden Weibes einen Augenblick lang ganz weiß und unbeschrieben war, wie bei seiner Geburt.
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