Das Hospital der Verklärung.
alten Bauern den Feldrain entlangschreiten, ein Kreuz auf den Schultern, wie es gewöhnlich dem Begräbniszug vorangetragen wird. Stefan wollte den Bauern anrufen, wagte es aber nicht. Mit zusammengebissenen Zähnen wandte er sich eilig dem Friedhof zu. Der Bauer langte unterdessen an der Friedhofsmauer an und verschwand. Es blieb verborgen, ob er weiter zum Dorf ging. Stefan schlug also verzweifelt die Mantelschöße hoch, hielt sie wie einen Weiberrock und setzte mit immer halsbrecherischerer Geschwindigkeit über die Pfützen. Die Straße zum Friedhof führte im Bogen an einem kleinen Hügel vorbei, der dicht mit Haselnußsträuchern bewachsen war. Stefan lief querfeldein, ohne auf den nachgiebigen Schneematsch und die Weidenruten, die sein Gesicht peitschten, zu achten. Am Saum des Gehölzes sprang er auf die Straße hinunter und sah sich neben dem Friedhof. Still war es hier und menschenleer; von dem Bauern keine Spur. Stefans Eile war mit einemmal verflogen. Finster musterte er seine bis an die Knöchel kotbespritzten Füße; erhitzt, nach Atem ringend,warf er einen Blick über die Pforte. Keine Menschenseele. Er stieß die Pforte auf. Sie knarrte entsetzlich und verstummte mit einem kläglichen Ächzen. Schmutziger, verharschter Schnee bedeckte in erstarrten Wellen die Gräber, trichterförmig geöffnet um das Fußgestell der Kreuze, deren hölzerne Reihen bis an ein Holundergebüsch reichten; dahinter standen die Grabsteine der Seelenhirten von Nieczawy, ein wenig abseits lag die Gruft der Familie Trzyniecki, alle anderen Gräber überragend, schwarz, in goldenen Lettern die Namen und Daten, drei Birken am granitenen Kopfende. In dem Zwischenraum, der wie ein Niemandsland die Gruft vom Friedhof trennte, klaffte eine frisch ausgehobene Grube. Der gelbe Lehm wirkte in dem Weiß ringsum wie ein Schandfleck. Stefan blieb verdutzt stehen. Offenbar war kein Platz mehr frei in der Gruft, und da die Zeit oder auch die Mittel zu ihrer Erweiterung fehlten, mußte ein Trzyniecki wie der erste beste im Lehm verscharrt werden; Stefan malte sich aus, mit welchen Gefühlen Onkel Anzelm die Überführung der sterblichen Hülle angeordnet haben mochte. Einen anderen Weg aber gab es nicht: Alle Trzynieckis wurden hier beigesetzt, war Nieczawy doch einst Familienbesitz gewesen; und obwohl nur Onkel Ksawerys Haus übriggeblieben war, hielt sich dieser Brauch. Bei jedem Todesfall sandte die Familie ihre Vertreter aus ganz Polen zur Beerdigung.
An den Kreuzen und den Holunderzweigen hingen Eiszapfen, von denen lautlos Wasser tropfte und den Schnee durchlöcherte. Stefan verharrte eine Weile an dem offenen Grab. Eigentlich hätte er sich nun zu Onkel Ksawery begeben müssen, aber er verspürte wenig Lust dazu und schlenderte lieber zwischen den Kreuzen des Dorffriedhofs weiter. Die auf kleinen Täfelchen mit Draht eingebrannten Namen hatten sich in schwarze Flecke verwandelt,viele waren auch schon ganz verschwunden und hatten das blanke Holz hinterlassen. Mit kalten Füßen stapfte Stefan durch den Schnee und umrundete den Friedhof; da fiel ihm ein Grab auf, das ein großes Birkenkreuz trug. Auf einem Stück Blech, das darangenagelt war, stand in verschnörkelter Schrift:
Gib, der du vorübergehst, dem Polenlande Kunde, hier ruhen seiner Söhne viel, treu bis zur letzten Stunde.
Und dann folgten Namen mit dem jeweiligen Dienstgrad. Als letzter war ein unbekannter Soldat aufgeführt, darunter das Datum: September 1939. Nicht einmal sechs Monate waren seitdem vergangen, aber die Aufschrift wäre längst in Regen und Frost verblichen, hätte nicht eine sorgende Hand sie in treuem Gedenken immer wieder erneuert. Von diesem Gedenken zeugten auch die Tannenzweige, mit denen das auffallend kleine Grab bedeckt war; es schien kaum glaublich, daß mehrere Menschen darin ruhten. Stefan verweilte längere Zeit, bewegt und unsicher zugleich, denn er wußte nicht, ob er den Hut abnehmen sollte; da er sich nicht entschließen konnte, ging er weiter. Der naßkalte Schnee setzte ihm hart zu. Er schlug die Schuhe aneinander und sah von neuem auf die Uhr. Es war zwanzig Minuten nach eins. Nun mußte er sich aber beeilen, wollte er rechtzeitig beim Onkel sein. Doch Stefan meinte, daß er seine feierliche Teilnahme an der Beerdigung beträchtlich vereinfachen konnte, wenn er gleich hier auf den Trauerzug wartete; so machte er noch einmal kehrt und blieb wieder vor der Grube stehen, die Onkel Leszeks sterbliche Überreste aufnehmen sollte. Er warf
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