Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
Tasche gesteckt.
    Dort, wo die Chaussee die steile Lehmwand des Hügels umging, erschien der Trauerzug. Die Leute waren noch so weit entfernt, daß Stefan die Gesichter nicht erkennen konnte. Er sah nur das Kreuz, das vorangetragen wurde, dahinter wie weiße Tupfen die Priesterornate, das Verdeck eines Autos und eine Menge kleiner Figuren, die sich so langsam fortbewegten, als träten sie auf der Stelle. Das geschah sicherlich in einem feierlichen Wiegen, aber verkleinert durch die Entfernung wirkte dieses Auf und Ab nahezu grotesk. Es fiel schwer, diese Begräbnisgesellschaft en miniature ernst zu nehmen und sie mit der geziemenden Andacht zu erwarten; nicht weniger Überwindung kostete es, ihr entgegenzutreten. Der Trauerzug sah aus wie eine zusammengewürfelte Versammlung von schwarzen Puppen, die am Fuße der lehmigen Steilwand dahinglitten. Der Wind wehte Fetzen unverständlichen Gesangs herüber. Stefan wäre gern so schnell wie möglich dort gewesen, aber er traute sich nicht vom Fleck und wartete reglos, den Hut in der Hand und die Haare vom Winde zerzaust, am Straßengraben. Ein Fremder hätte nicht entscheiden können, ob er ein verspäteter Teilnehmer an der Trauerfeier oder nur ein zufälliger Passant sei. Die Gestalten wuchsen in dem Maße, wie sie sichnäherten, und unmerklich überschritten sie die Grenze jener Entfernung, die dem Schauenden einen so sonderbaren Eindruck vermittelt hatte. Nun endlich erkannte Stefan den alten Bauern, der mit dem Kreuz voranging, die beiden Priester, den langsam hinterdreinfahrenden Lastkraftwagen aus dem nahen Sägewerk und schließlich die in heilloser Unordnung einherschreitende Familie. Die Bäuerinnen sangen ohne Pause, monoton und unharmonisch. Als der Zug nur noch etwa ein Dutzend Schritt von Stefan entfernt war, begann die Kirchenglocke zu läuten – zunächst gab sie nur einige ungleich laute Töne von sich, aber dann klang sie voll und stark; ihr Dröhnen füllte majestätisch die Landschaft. Als die Glocke erschallte, dachte Stefan, daß es wohl der kleine Wicek von Szymczaks gewesen war, der da am Seil gezogen hatte; und dann hatte ihn sicherlich der einzig zum Glockenläuten berufene rothaarige Tomek verjagt. Doch gleich darauf fiel ihm ein, daß der »kleine« Wicek ja nun längst ein Bauernbursche in seinem, Stefans, Alter war und daß von Tomek gewiß jede Spur fehlte, seit er in die Stadt gezogen war. Aber offenbar kämpfte die junge Generation von Nieczawy noch immer um das Recht, am Glockenstrang zu ziehen.
    Im Leben gibt es Situationen, die kein Lehrbuch der guten Manieren vorsieht und die so schwierig und heikel sind, daß man sie nur mit viel Taktgefühl und Selbstvertrauen meistern kann. Stefan, dem diese Tugenden völlig abgingen, hatte keine Ahnung, wie er sich in den Zug eingliedern sollte, und er stand daher unschlüssig da in der Gewißheit, bemerkt worden zu sein, was seine Verwirrung nur noch steigerte. Zum Glück machte der Zug vor der Kirche halt, einer der beiden Priester trat an den Wagen heran und richtete eine Frage an den Fahrer, der zur Bestätigung nickte. Mehrere Bauern, die Stefan nichtkannte, kletterten auf den Wagen und schickten sich an, den Sarg herunterzulassen. Stefan nützte das Durcheinander und gesellte sich rasch zu der um das Auto versammelten Gruppe. Er hatte gerade Onkel Ksawerys untersetzte Gestalt mit dem grauhaarigen, tief zwischen den Schultern steckenden Kopf entdeckt – er stützte Tante Aniela, die ganz in Schwarz war –, als gedämpfte Rufe erklangen: Es wurden mehr Träger für den Sarg gebraucht. Stefan war sogleich zur Stelle; da er jedoch die Fassung verlor – wie immer, wenn vor aller Augen eine auch nur einigermaßen verantwortungsvolle Tätigkeit ausgeführt werden sollte –, äußerte sich seine Bereitwilligkeit zu handeln lediglich in einem nervösen Trippeln um den Wagenkasten; schließlich schwankte der Sarg ohne seine Hilfe über die Köpfe der Anwesenden hinweg, und ihm blieb nur eine Pelzjoppe, die Onkel Anzelm, Vaters ältester Bruder, im letzten Augenblick abgeworfen und ihm zu halten gegeben hatte.
    Die Joppe über dem Arm, betrat Stefan die Kirche. Als einer der letzten zwar, doch in der Überzeugung, ebenfalls einiges zum erfolgreichen Ablauf der Zermonie beizutragen, wenn er jenen riesigen Bärenpelz schleppte. Die Glocke beendete ihr monotones Läuten mit einem klagenden Ton, die Priester zogen sich eine Weile zurück und erschienen wieder. Inzwischen hatte die Familie auf den

Weitere Kostenlose Bücher