Das Hospital der Verklärung.
Bänken Platz genommen, und vom Altar ertönten die ersten lateinischen Worte der Exequien.
Eigentlich hätte Stefan sich setzen können, denn die Bänke boten genügend Platz, und Onkels Pelz gehörte auch nicht gerade zu den leichtesten, aber er zog es vor, mit seiner Last weit hinten im Kirchenschiff stehenzubleiben, vielleicht gerade, weil ihm das schwerfiel und seine vorherige Schüchternheit dadurch gewissermaßen kompensiert wurde. Der Sarg stand bereits vor dem Altar,und Onkel Anzelm, der die Kerzen an der Bahre angezündet hatte, kam von dort schnurstracks auf Stefan zu, der ein wenig aus der Fassung geriet – er hatte sich auf die Dunkelheit verlassen, die am Fuß seines Pfeilers herrschte. Der Onkel packte Stefan zum Gruß an den Schultern und flüsterte in das Psalmodieren des Priesters hinein: »Der Vater ist wohl krank?«
»Ja, Onkel. Er hatte gestern einen Anfall.«
»Die Steine, wie?« fragte der Onkel in seinem entsetzlichen Flüsterton und schickte sich an, Stefan den Pelz abzunehmen. Aber Stefan wollte ihn nicht hergeben und stammelte: »Nein, ich bitte dich, ich kann ihn doch ohne weiteres …«
»Gib den Pelz schon her, du Esel, hier ist es ja hundekalt!« sagte der Onkel fast laut, wenn auch gutmütig, warf die Joppe über die Schultern, steuerte auf die Bank zu, wo die Witwe saß, und ließ Stefan wie vor den Kopf gestoßen stehen; der junge Mann fühlte noch eine geraume Weile, wie seine Wangen brannten.
Dieser im Grunde unbedeutende Vorfall verleidete ihm den Aufenthalt in der Kirche. Er kam erst wieder zu sich, als er Onkel Ksawerys ansichtig wurde, der in der letzten Bankreihe im äußersten Winkel saß. Nahezu getröstet, stellte er sich vor, wie unwohl sich Ksawery fühlen mußte, er, der militante Atheist, der jeden neuen Propst zu bekehren versuchte. Er war ein alter Junggeselle und Wahrheitsapostel, ein fanatischer Abonnent der rationalistischen Buchreihe Boy-Zeleńskis, ein Verfechter der Geburtenregelung und zudem der einzige Arzt im Umkreis von zwei Meilen. Seinerzeit hatten die Verwandten aus Kielce versucht, ihn aus dem alten Hause zu vertreiben, und hatten in den Kreis- und Bezirksgerichten einen jahrelangen Kampf gegen ihn geführt. Aber Ksawery gewann nicht nur alle Prozesse, sondern er zahlte den liebenVerwandten obendrein so geschickt heim – wie er sagte –, daß sie ihm nichts anhaben konnten. Jetzt saß er zusammengesunken auf seinem Platz, seine großen Hände ruhten reglos auf dem Pult, und von der Familie, über die er den Sieg davongetragen, trennte ihn eine ganze Bank.
Die brausenden Töne der Orgel weckten in Stefan den Widerhall seiner einstigen glühenden und demütigen Frömmigkeit, die seine kindliche Seele versengt hatte; Orgelmusik war für ihn immer etwas Erhabenes gewesen. Die Exequien wurden in der vorgeschriebenen Ordnung vollzogen: Der eine Priester entzündete an einem kleinen Lämpchen den Weihrauch und umschritt den Sarg, der in Wolken aromatischen, wenngleich brandig riechenden Rauches gehüllt wurde. Stefans Blick suchte die Witwe – sie saß in der zweiten Bank, geduckt und gottergeben, auffallend gleichgültig gegenüber den Worten der Priester, die mit ihren gewundenen lateinischen Perioden in einer feierlich-aufdringlichen Weise immer wieder ihren Namen und den des Toten skandierten, jedoch nicht an das Gehör der Lebenden gewandt, sondern an die Vorsehung, und die baten sie, flehten sie an, geboten ihr geradezu Wohlwollen für ihn, den es nicht mehr gab.
Die Orgel verstummte, und der auf dem Katafalk aufgebahrte Sarg vor dem Altar mußte von neuem auf die Schultern gehoben werden. Aber jetzt versuchte Stefan nicht einmal, sich ihm zu nähern; alle standen auf und schickten sich hüstelnd an zu gehen. Als der Sarg unter sanftem Wiegen das dämmerige Kirchenschiff verließ, kippte er bedrohlich vornüber, aber sogleich brachte ihn ein ganzer Wald von hochgeschnellten Händen wieder ins Gleichgewicht, so daß er nun, etwas lebhafter schwankend, gleichsam angeregt durch das, was beinahe eingetretenwäre, in das Licht der schOn tief stehenden Sonne hinausglitt.
In diesem Augenblick ging Stefan ein alberner und recht makabrer Gedanke durch den Sinn, nämlich, daß die Person in dem Sarg zweifellos Onkel Leszek war, denn der hatte stets, selbst bei den feierlichsten Anlässen, eine Vorliebe für kauzige Späße gehabt. Stefan erstickte diesen Gedanken sogleich im Keime oder vielmehr lenkte er ihn in die Bahnen einer vernünftigeren
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