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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Dieselgeruch Europas, aber kein Kaffee. Wir lernten dann schnell, wozu Kaffeehäuser da waren: man konnte dort lange sitzen, Hausaufgaben machen, mit Nutten plaudern, Darts und Billard spielen, anderes als nur Kaffee trinken, Pläne schmieden (für unsere Flucht zum Beispiel), und natürlich waren die Kaffeehäuser für die Schlaflosen und Träumer da. Doch dann verblüffte uns der Brunnen am Schwarzenbergplatz, wir überquerten die Ringstraße mit ihren lustigen Straßenbahnen, und unser Fahrer begann vor sich hin zu murmeln: »Krugerstraße, Krugerstraße«, als könne er mit diesen Wiederholungen die kleine Straße dazu bewegen, uns in die Augen zu springen (was sie prompt tat), und dann: »Gasthaus Freud, Gasthaus Freud.«
    Das Gasthaus Freud sprang uns nicht in die Augen. Wir fuhren gemächlich - daran vorbei. Frank lief ins Cafe Mowatt, um nach dem Weg zu fragen, und sie zeigten uns das Haus - es war uns schlicht entgangen. Die Konditorei war verschwunden (auch wenn die alten Schilder -  Bonbons und so weiter - von innen am Schaufenster lehnten). Vater meinte, daß Freud - im Hinblick auf unsere Ankunft - mit den Erweiterungsplänen begonnen und die Konditorei aufgekauft hatte. Aber bei näherem Hinsehen erkannten wir, daß ein Feuer die Konditorei zerstört und die Bewohner des benachbarten Gasthauses Freud zumindest bedroht haben mußte. Wir gingen auf das kleine, düstere Hotel zu, vorbei an dem neuen Schild vor der ausgebrannten Konditorei; auf dem Schild stand, wie Frank für uns übersetzte: Nicht auf den Zucker treten.
    »Nicht auf den Zucker treten, Frank?« sagte Franny.
    »So steht es da«, sagte Frank, und tatsächlich: als wir vorsichtig die Eingangshalle des Hotels betraten, bemerkten wir am Boden eine gewisse Klebrigkeit (zweifellos von Füßen, die bereits in den Zucker getreten waren - in die abscheuliche Glasur aus im Feuer geschmolzenen Bonbons). Und da übermannte uns auch schon der gräßliche Geruch verbrannter Schokolade. Lilly, die unter ihren kleinen Koffern schwankte, stolperte als erste in die Halle und stieß einen Schrei aus.
    Wir erwarteten Freud, aber Freuds Bären hatten wir vergessen. Lilly hatte nicht erwartet, ihn in der Eingangshalle zu sehen - ohne Kette. Und keiner von uns erwartete, ihn auf der Couch beim Empfangsschalter zu finden, die kurzen Beine übereinandergeschlagen, mit den Füßen auf einem Stuhl; es sah aus, als lese er in einer Zeitschrift (sichtlich ein »schlauer Bär«, wie Freud ja auch behauptet hatte), bei Lillys Schrei jedoch flog ihm das Heft aus den Pfoten, und er nahm eine bärenmäßige Haltung an. Er schwang sich von der Couch und trottete seitwärts zum Empfangsschalter, ohne uns weiter zu beachten, und wir sahen, wie klein er war - eine gedrungene, klein gewachsene Gestalt; nicht länger oder höher als ein Labradorhund (dachten wir alle), aber wesentlich plumper, dick um die Mitte, mit mächtigem Hinterteil und starken Armen. Er richtete sich auf seinen Hinterbeinen auf und versetzte der Klingel am Empfangsschalter einen so fürchterlichen Hieb, daß das feine ping! vom dumpfen Aufprall der Pratze zugedeckt wurde.
    »Jessas Gott!« sagte Vater.
    »Bist du das?« rief eine Stimme. »Ist das Win Berry?«
    Ungehalten darüber, daß Freud noch nicht erschienen war, packte der Bär die Klingel am Empfangsschalter und schleuderte sie durch die Halle; die Klingel krachte gegen eine Tür - es klang, als schlage ein Hammer gegen eine Orgelpfeife.
    »Ich höre dich!« rief Freud. »Jessas Gott! Bist du das?«
    Und er kam mit ausgebreiteten Armen aus dem Zimmer - eine Gestalt, die uns Kindern ebenso seltsam vorkam wie irgendein Bär. Jetzt erst wurde uns Kindern klar, daß Vater sein »Jessas Gott!« von Freud gelernt hatte, und vielleicht war es der Kontrast zwischen dieser Erkenntnis und Freuds Erscheinung, der uns so überraschte; Freuds Körper hatte keine Ähnlichkeit mit Vaters athletischer Figur und seiner Art sich zu bewegen. Hätte Fritz seine Zwerge abstimmen lassen, hätte Freud wohl Chancen gehabt, in ihren Zirkus aufgenommen zu werden - er war nur unwesentlich größer als sie. Sein Körper wirkte wie die stark gekürzte - um nicht zu sagen verstümmelte - Geschichte seiner früheren Fähigkeiten; er war nur noch massiv und kompakt. Die schwarzen Haare, von denen wir gehört hatten, waren weiß und lang und flatterleicht wie Maisfasern. Sein Stock sah aus wie ein Knüppel, ein Baseballschläger - erst später erfuhren wir, daß es ein

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