Das Hotel New Hampshire
mein letzter Blick fiel auf Egg, der angestrengt zwischen den Zwergen herumrannte und dabei Kummer über seinen Kopf hochhielt wie einen Götzen - ein Tier, das von den andern, gewöhnlichen Tieren verehrt werden sollte. Egg war ganz aufgeregt, und er schrie herum, und Frannys Lippen -synchron mit seinen - flüsterten: »Was? Was? Was?«
Fritz brachte uns nach Boston, wo Franny noch das einkaufen mußte, was Mutter »Stadtwäsche« nannte; Lilly tappte weinend durch die Abteilung für Damenunterwäsche; Frank und ich fuhren die Rolltreppen rauf und runter. Wir waren viel zu früh am Flughafen. Fritz sagte entschuldigend, er könne nicht mit uns warten, denn seine Tiere brauchten ihn, und Vater wünschte ihm alles Gute - und dankte ihm im voraus für die Bereitschaft, anderntags Mutter und Egg zum Flughafen zu bringen. Frank wurde in der Toilette des Logan-Flughafens »angegangen«, aber er weigerte sich, Franny und mir den Vorfall zu schildern; er sagte immer nur, er sei »angegangen« worden. Er war entrüstet darüber, und Franny und ich waren wütend auf ihn, weil er uns nicht ausführlicher davon erzählte. Vater kaufte Lilly einen Kabinenkoffer aus Plastik, um sie aufzuheitern, und kurz vor Einbruch der Dunkelheit gingen wir an Bord. Ich glaube, wir starteten um 7 oder 8 Uhr: an diesem Sommerabend waren die Lichter in Boston nur etwa zur Hälfte eingeschaltet, und das Tageslicht reichte noch aus, uns den Hafen deutlich erkennen zu lassen. Wir saßen zum erstenmal in einem Flugzeug, und wir waren begeistert.
Wir flogen die ganze Nacht über den Ozean. Vater schlief den ganzen Flug hindurch. Lilly wollte nicht schlafen; sie blickte hinaus ins Dunkel und berichtete von zwei Ozeandampfern, die sie gesichtet haben wollte. Ich döste und wachte auf, döste und wachte auf; mit geschlossenen Augen sah ich zu, wie sich der Elliot Park in einen Zirkus verwandelte. Die meisten Orte, die wir in der Kindheit verlassen, verlieren an Reiz, statt an Reiz zu gewinnen. Ich stellte mir vor, ich kehrte nach Dairy zurück, und fragte mich, ob Fritzens Nummer die Umgebung auf- oder abwerten würde.
Als wir am Morgen in Frankfurt landeten, war es Viertel vor acht. Vielleicht war es auch Viertel vor neun.
»Deutschland!« sagte Frank. Er führte uns durch den Frankfurter Flughafen zu unserem Anschlußflug nach Wien und las dabei laut vor, was auf all den Hinweisschildern stand, und redete leutselig auf all die Ausländer ein.
»Wir sind die Ausländer«, flüsterte Franny immer wieder.
»Guten Tag!« begrüßte Frank die vorbeigehenden Fremden.
»Das eben waren Franzosen, Frank«, sagte Franny. »Da bin ich sicher.«
Als Vater beinahe die Pässe verlor, machten wir sie mit zwei kräftigen Gummibändern an Lillys Handgelenk fest; dann trug ich Lilly, da sie von dem vielen Weinen erschöpft schien.
Wir verließen Frankfurt um Viertel vor neun (oder Viertel vor zehn) und erreichten Wien gegen Mittag. Es war ein kurzer unruhiger Flug in einem kleineren Flugzeug; Lilly sah Berge und hatte Angst; Franny sagte, sie hoffe nur, es werde tags darauf nicht so böig sein, wenn Mutter und Egg flogen. Frank erbrach sich zweimal.
»Sag's auf deutsch, Frank«, sagte Franny, aber Frank fühlte sich zu elend für eine Antwort.
Wir hatten einen Tag und eine Nacht und den nächsten Morgen, um das Gasthaus Freud für Mutter und Egg herzurichten. Wir waren etwa acht Stunden in der Luft gewesen - vielleicht sechs oder sieben Stunden von Boston nach Frankfurt und nochmal eine Stunde oder so bis Wien. Der Flug, für den Mutter und Egg gebucht waren, sollte Boston am nächsten Abend ein klein wenig später verlassen und nach Zürich gehen; ihr Anschlußflug nach Wien würde etwa eine Stunde dauern, und für den Flug von Boston nach Zürich waren - wie für unseren Flug nach Frankfurt - etwa sieben Stunden angesetzt. Aber Mutter und Egg - und Kummer - erreichten Zürich nicht ganz. Weniger als sechs Stunden nach dem Start in Boston schlugen sie kurz auf dem Atlantik auf - nicht weit von der Küste, vor dem Teil des Festlands, der Frankreich heißt. Wenn ich mir später das Ganze vorstellte, dann war es mir ein kleiner (wenn auch unlogischer) Trost, zu wissen, daß sie nicht im Finstern abstürzten und daß - zumindest in ihrer Vorstellung - der Anblick des Festlands in der Ferne Anlaß zu Hoffnungen gewesen sein könnte (auch wenn sie das Festland nicht mehr erreichten). Zu unwahrscheinlich ist die Vorstellung, daß Egg geschlafen hatte, obwohl man
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