Das Hotel New Hampshire
Baseballschläger war. Das seltsame Haarbüschel auf seiner Wange war immer noch so groß wie eine mittelgroße Münze, aber es hatte die graue Farbe eines Gehwegs - die nichtssagende unbeachtete Farbe einer Großstadtstraße. Aber vor allem eines war dem gealterten Freud passiert: er war jetzt blind.
»Bist du das?« rief Freud durch die Halle, das Gesicht nicht Vater, sondern einem alten Eisenpfosten am Fuße des Treppengeländers zugewandt.
»Hier drüben bin ich«, sagte mein Vater leise. Freud breitete die Arme aus und tappte auf die Stimme meines Vaters zu.
»Win Berry!« rief Freud, und rasch sprang ihm der Bär zur Seite, griff mit seiner rauhen Tatze nach dem Ellbogen des alten Mannes und schob ihn in die Richtung, wo mein Vater stand. Als Freud seine Schritte verlangsamte, aus Furcht vor herumstehenden Stühlen oder irgendwelchen Füßen, über die er hätte stolpern können, schubste ihn der Bär von hinten mit dem Kopf. Nicht nur ein schlauer Bär, dachten wir Kinder: auch eine Art Blindenhund, ein Blindenbär. Freud hatte nun einen Bären, der für ihn sah. Zweifellos war das ein Bär, der das Leben eines Menschen verändern konnte.
Wir sahen zu, wie der blinde Gnom meinen Vater umarmte; wir sahen ihren linkischen Tanz in der schäbigen Halle des Gasthauses Freud. Als ihre Stimmen leiser wurden, konnten wir die Schreibmaschinen hören, die im zweiten Stock zur Sache gingen - es waren die Radikalen, die da ihre Musik spielten, die Linken, die da ihre Versionen der Welt zu Papier brachten. Selbst die Schreibmaschinen klangen rechthaberisch - uneins mit all den anderen, fehlerhaften Versionen der Welt, doch ganz sicher, daß sie recht hatten, absolut überzeugt davon, tip-tip-tip kam Wort um Wort auf das Papier, wie Finger, die ungeduldig auf Tischplatten trommeln, Finger, die auf der Stelle treten zwischen zwei Ansprachen.
Aber war das nicht besser, als eine Ankunft bei Nacht? Gewiß, die Halle hätte im milden Schummer der unzulänglichen Beleuchtung und im schonenden Dunkel gepflegter ausgesehen. Aber war es nicht besser (für uns Kinder), die Schreibmaschinen zu hören und den Bären zu sehen - besser als das Auf und Ab der Betten zu hören (oder zu ahnen), das Treppauf-Treppab der Prostituierten und die schuldbewußten Begrüßungen und Verabschiedungen (die ganze Nacht lang) in der Halle?
Der Bär drängte sich zwischen uns Kinder. Lilly war auf der Hut vor ihm (er war größer als sie), ich war irgendwie schüchtern, Frank versuchte sich anzubiedern - auf deutsch -, doch für den Bären gab es nur Franny. Der Bär preßte seinen breiten Kopf an Frannys Hüfte; mit der Schnauze fuhr er meiner Schwester zwischen die Beine. Franny zuckte zurück und lachte, und Freud sagte: »Susie! Bist du artig? Bist du ungezogen?« Susie der Bär drehte sich nach ihm um und lief auf allen vieren zu ihm hin; der Bär rammte dem alten Mann die Schnauze in den Magen - und stieß ihn zu Boden. Mein Vater schien ihm helfen zu wollen, aber Freud kam - mit Hilfe seines Baseballschlägers - rasch wieder auf die Beine. Es war schwer zu sagen, ob er in sich hineinlachte. »Ach Susie!« sagte er in die falsche Richtung. »Susie spielt sich nur auf. Sie mag keine Kritik«, sagte Freud. »Und aus Männern macht sie sich nicht so viel wie aus Mädchen. Wo sind die Mädchen?« sagte der alte Mann, die Hände in zwei Richtungen ausstreckend, und Franny und Lilly gingen zu ihm hin - und Susie der Bär folgte Franny und stupste sie liebevoll von hinten. Frank - plötzlich wild entschlossen, sich mit dem Bären anzufreunden - zerrte am rauhen Pelz des Tieres und stammelte: »Äh, du bist bestimmt Susie der Bär. Wir haben alle viel von dir gehört. Ich bin Frank. Sprechen Sie Deutsch?«
»Nein, nein«, sagte Freud, »nicht Deutsch. Susie hat was gegen Deutsch. Sie spricht deine Sprache«, sagte Freud mehr oder weniger in Franks Richtung.
Frank beugte sich täppisch zu dem Bären hinunter und zerrte wieder an seinem Pelz. »Kannst du einem auch die Hand geben, Susie?« fragte Frank, vornübergebeugt, doch der Bär drehte sich nach ihm um; der Bär richtete sich auf.
»Sie ist doch nicht ungezogen, oder?« rief Freud. »Susie, sei artig! Sei nicht ungezogen.« Auch stehend war der Bär nicht so groß wie wir anderen - abgesehen von Lilly, und abgesehen von Freud. Die Schnauze des Bären war auf der Höhe von Franks Kinn. Sie standen sich ein Weilchen Auge in Auge gegenüber, und der Bär verlagerte das Gewicht von einem
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