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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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wenn wir Max erwähnten.
    Mrs. Urick kocht heute noch für Fritzens Nummer - vielleicht die Bestätigung für Schlichtes-aber-Gutes, im Essen wie im Leben. Einmal schickte ihr Lilly zu Weihnachten eine hübsche handgeschriebene Schriftrolle mit diesen (aus dem Altenglischen übersetzten) Worten eines anonymen Dichters: »Wer da führet ein Leben in Demut, den laben himmlische Engel mit Mut und mit Kraft und mit Glauben.«
    Amen.
    Fritz von Fritzens Nummer stärkten gewiß ähnliche Engel. Er setzte sich in Dairy zur Ruhe und machte das Hotel New Hampshire zu seinem Ganzjahreswohnsitz (nachdem er das Reisen und die Wintertourneen den jüngeren Zwergen überließ). Lilly wurde immer traurig, wenn sie an ihn dachte, denn war es zuerst Fritzens Größe gewesen, die sie beeindruckt hatte, so war es nun die Vision von einem Leben in Fritzens Hotel New Hampshire (anstatt der Reise nach Wien), die Lilly jedesmal überkam, wenn sie an Fritz dachte - und Lilly stellte sich deshalb immer vor, wie unser aller Leben hätte verlaufen können, wenn wir nicht Mutter und Egg verloren hätten. Keine himmlischen Engel waren zur Stelle gewesen, um ihnen zu helfen.
    Aber wir hatten natürlich keine derartige Vision von der Welt, als wir zum erstenmal Wien sahen. » Freuds Wien«, wie Frank gern betonte - und wir wußten, welchen Freud er meinte.
    Überall in Wien gab es (1957) die Lücken zwischen den Gebäuden, gab es die eingefallenen und ausgebrannten Gebäude, so wie die Bomben sie zurückgelassen hatten.
    Auf manchen Trümmergrundstücken, oft im Umkreis von verlassenen Kinderspielplätzen, hatte man das Gefühl, daß unter den ordentlich aufgeräumten Trümmern nicht-explodierte Bomben lagen. Zwischen dem Flughafen und den äußeren Bezirken kamen wir an einem russischen Panzer vorbei, dem man einen festen Standplatz gegeben hatte - in Beton -, als eine Art Mahnmal. Aus der Luke oben sprossen Blumen, das lange Kanonenrohr war mit Fahnen drapiert, der rote Stern verblaßt und mit Vogeldreck gesprenkelt. Der Panzer war auf Dauer geparkt vor einem Gebäude, das wie ein Postamt aussah, doch unser Taxi fuhr zu schnell daran vorbei, als daß wir hätten sicher sein können.
    Kummer schwimmt obenauf, aber wir waren in Wien, bevor uns die schlechte Nachricht erreichte, und wir neigten zu vorsichtigem Optimismus. Von den Kriegsschäden war immer weniger zu sehen, je mehr wir uns den inneren Bezirken näherten; gelegentlich schien sogar die Sonne durch die kunstvoll gearbeiteten Gebäude - und von einem Dach über uns lehnte sich eine Reihe steinerner Amoretten, die Bäuche pockennarbig vom Maschinengewehrfeuer. Mehr Menschen tauchten in den Straßen auf, und doch ähnelten die äußeren Bezirke einer alten Sepia-Fotografie, früh am Tag aufgenommen, bevor noch jemand auf war - oder nachdem alle tot waren.
    »Es ist gespenstisch«, bemerkte Lilly mutig; vor lauter Angst hatte sie endlich aufgehört zu weinen.
    »Es ist alt«, sagte Franny.
    »Wo ist die Gemütlichkeit?« sang Frank gutgelaunt - und blickte sich um, als suche er danach.
    »Ich glaube, eurer Mutter wird es hier gefallen«, sagte Vater optimistisch.
    »Egg wird es nicht gefallen«, sagte Franny.
    »Egg wird es nicht hören können«, sagte Frank.
    »Mutter wird es auch nicht ausstehen können«, sagte Lilly.
    »Vierhundertvierundsechzig«, sagte Franny.
    Unser Fahrer sagte etwas Unverständliches. Selbst Vater erkannte, daß es nicht deutsch war. Frank bemühte sich, mit dem Mann ins Gespräch zu kommen, und entdeckte, daß er aus Ungarn kam - von dem ein Jahr zurückliegenden Aufstand. Wir suchten im Rückspiegel und in den matten Augen unseres Fahrers nach Anzeichen bleibender Wunden - und wenn wir sie schon nicht sahen, so bildeten wir sie uns zumindest ein. Dann tauchte urplötzlich ein Park neben uns auf, rechts von der Straße, mit einem Prachtbau, der wie ein Schloß aussah (es war ein Schloß), und aus einem Hoftor kam eine fröhliche dicke Frau in Schwesterntracht (eindeutig ein Kindermädchen), die einen Zweiplätzer-Kinderwagen vor sich herschob (jemand hatte Zwillinge gehabt!), und Frank zitierte idiotische Zahlen aus einem hirnlosen Reiseprospekt.
    »Bei einer Einwohnerzahl, die unter eineinhalb Millionen liegt«, las uns Frank vor, »hat Wien dennoch über dreihundert Kaffeehäuser!« Aus unserem Taxi starrten wir auf die Straßen und erwarteten, sie voller Kaffeeflecken zu finden. Franny kurbelte ihr Fenster herunter und schnupperte; da war wohl der scharfe

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