Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
klaffenden Riß in der Wange da wie eine Leiche; bleich ruhte sein Kopf auf der zusammengefalteten Smokingjacke, die nie wieder weiß sein würde; seine dunkle Propellerschleife hing schlaff an seinem Hals, sein Kummerbund hob und senkte sich.
    »Ist es ein guter Doktor?« fragte er den Empfangschef. Die junge Riesin in ihrem Abendkleid mit den gelben Rüschen hielt die Hand des Deutschen.
    »Ein ausgezeichneter Doktor«, sagte der Empfangschef.
    »Besonders im Nähen«, sagte mein Vater. Meine Mutter hielt seine Hand.
    »Kein sehr kultiviertes Hotel, scheint mir«, sagte der Deutsche.
    »Die reinste Wildnis«, sagte die gebräunte Frau mit der athletischen Figur, aber sie tat ihre eigene Bemerkung mit einem Lachen ab. »Die Wunde ist nicht so schlimm, glaube ich«, wandte sie sich an Vater und Mutter und den Empfangschef. »Da reicht auch ein Doktor, der nicht so gut ist, glaube ich.«
    »Hauptsache, es ist kein Jude«, sagte der Deutsche. Er hustete. Freud war in dem kleinen Raum, doch sie hatten ihn nicht bemerkt; er war gerade beim Einfädeln und hatte damit seine Schwierigkeiten.
    »Es ist bestimmt kein Jude.« Die braune Prinzessin lachte. »In Maine gibt es keine Juden!« Als sie Freud entdeckte, schien sie nicht mehr so sicher.
    »Guten Abend, meine Dame, mein Herr«, sagte Freud auf deutsch. »Was ist los?«
    Wie mein Vater sagte, gab Freud, in die schwarze Smokingjacke gezwängt und mit all seinen Furunkelnarben, ein so schauerliches Bild ab, daß man sofort den Eindruck hatte, er habe die Kleider gestohlen, und zwar von mindestens zwei verschiedenen Leuten. Selbst sein sichtbarstes Zubehör war schwarz - eine schwarze Rolle Zwirn, die Freud in den grauen Gummihandschuhen hielt, wie sie die Tellerwäscher in der Küche trugen. Die beste Nadel, die sich im Bügelraum des Arbuthnot auftreiben ließ, sah in Freuds kleiner Hand zu groß aus, so als habe er die Nadel erwischt, mit der sonst die Segel der Boote genäht wurden. Vielleicht war es diese Nadel.
    »Herr Doktor?«, fragte der Deutsche und wurde noch blasser. Es schien, als hörte seine Wunde augenblicklich auf zu bluten.
    »Herr Professor Doktor Freud«, sagte Freud und ging nahe heran und inspizierte genüßlich die Wunde.
    »Freud?« sagte die Frau.
    »Jawohl«, sagte Freud.
    Als er das erste Glas Whisky in die Wunde des Deutschen goß, schwappte der Whisky in die Augen des Deutschen.
    »Hoppla!« sagte Freud.
    »Ich bin blind! Ich bin blind!« sang der Deutsche.
    »Nein, blind sind Sie nicht«, sagte Freud. »Aber Sie hätten die Augen zumachen sollen.« Er goß noch ein Glas in die Wunde; dann machte er sich an die Arbeit.
    Am Morgen bat der Geschäftsführer Freud, mit State o' Maine nicht aufzutreten, solange die Deutschen noch da waren - sie würden weiterfahren, sobald ihr großes Schiff mit genügend Proviant beladen war. Freud weigerte sich, weiterhin die Arztkleidung zu tragen; er bestand darauf, in seiner Mechanikerkluft an der 37er Indian herumzuflicken, und das war dann auch die Aufmachung, in der die Deutschen ihn fanden, zwischen dem Strand und den Tennisplätzen, für Leute im Hauptgebäude und auf den diversen Spielplätzen zwar nicht gerade unsichtbar, aber doch in taktvoller Abgeschiedenheit. Das mächtige bandagierte Gesicht des Deutschen war böse geschwollen, und er ging sehr vorsichtig auf Freud zu, als könnte der kleine Motorradmechaniker möglicherweise der beängstigende Zwillingsbruder des »Herrn Professor Doktor« vom Abend vorher sein.
    »Nein, er ist es selber«, sagte die gebräunte Frau, die den Deutschen untergefaßt hatte.
    »Was flickt denn der Judendoktor heute morgen?« wollte der Deutsche von Freud wissen.
    »Mein Hobby«, sagte Freud, ohne aufzublicken. Mein Vater, der - als assistiere er bei einer Operation - Freud die Werkzeuge reichte, nahm den Dreiviertelzoll-Schlüssel fester in die Hand.
    Die zwei Deutschen sahen den Bären nicht. State o' Maine scheuerte sich an dem Zaun, der die Tennisplätze umgab - mit heftigen drängenden Bewegungen rieb er seinen Rücken an dem Drahtgeflecht, und dabei stöhnte er und wiegte sich in einem Rhythmus, der einen an Masturbation denken ließ. Meine Mutter hatte ihm den unbequemen Maulkorb abgenommen.
    »Ich hab noch nie gehört von einem Motorrad wie diesem hier«, sagte der Deutsche abfällig zu Freud. »Wohl Schrott, ja? Was ist eine Indian? Nie gehört.«
    »Sie sollten selbst mal versuchen, damit zu fahren«, sagte Freud. »Hätten Sie Lust?«
    Die Frau war sich

Weitere Kostenlose Bücher