Das Hotel New Hampshire
Menge Blut auf seiner weißen Smokingjacke, in die ohne weiteres auch zwei Männer gepaßt hätten; sein blauschwarzer Kummerbund erinnerte an einen Vorhang, und die gleichfarbige Frackschleife an seinem Hals hatte sich senkrecht gestellt wie ein verdrehter Propeller. Er hatte beträchtliche Hängebacken und roch stark nach der Bowle, die an Bord des Schiffes serviert wurde. Er brüllte jemandem etwas zu. Von Bord des Schiffs kam ein mehrstimmiges Echo auf deutsch, und eine große, braungebrannte Frau in einem mit gelben Spitzen oder Rüschen besetzten Abendkleid kam die Leiter herauf wie ein in Seide gekleideter Panther.
Der blutende Mann griff nach ihr und stützte sich mit seinem ganzen Gewicht auf sie, so daß die Frau trotz all ihrer offensichtlichen Kraft und Gelenkigkeit gegen meinen Vater gestoßen wurde, der verhinderte, daß sie das Gleichgewicht verlor. Sie war viel jünger als der Mann, wie meine Mutter bemerkte, und auch sie war Deutsche; sie redete mit weichen, gluckenden Tönen auf ihn ein, während er fortfuhr, in Richtung des an Bord verbliebenen deutschen Chors unflätig zu blöken und zu gestikulieren. Den Landesteg entlang und dann den Kiesweg hinauf zum Hotel schwankte das stämmige Paar.
Als sie das Arbuthnot erreichten, wandte sich die Frau meinem Vater zu und sagte auf englisch, mit einem kontrollierten Akzent: »Er muß genäht werden, ja? Hier gibt es doch einen Doktor, ja?«
Der Empfangschef flüsterte Vater zu: »Holen Sie Freud.«
»Genäht muß werden?« sagte Freud. »Der Doktor wohnt in Bath, viel zu weit weg, und außerdem säuft er. Aber ich kann nähen, ich flicke jeden zusammen.«
Der Empfangschef rannte nun selbst hinaus zu den Schlafräumen der Männer und rief nach Freud. »Setzen Sie sich auf Ihre Indian und schaffen Sie den alten Doc Todd her! Den kriegen wir schon nüchtern, wenn er erst hier ist«, meinte er. »Aber fahren Sie um Himmels willen los!«
»Das dauert eine Stunde, wenn ich ihn überhaupt finde«, sagte Freud. »Sie wissen doch, daß ich mich aufs Nähen verstehe. Sie brauchen mir nur die richtigen Kleider zu besorgen.«
»Das hier ist etwas anderes«, sagte der Empfangschef. »Ich glaube, das ist ein besonderer Fall, Freud - ich meine, dieser Mann. Es ist ein Deutscher, Freud. Und die Wunde ist in seinem Gesicht.«
Freud streifte die Arbeitskleidung von seinem narbigen, olivbraunen Körper und begann, sich die feuchten Haare zu kämmen. »Die Kleider«, sagte er. »Nur her damit. Den alten Doc Todd zu holen ist zu kompliziert.«
»Die Verletzung ist im Gesicht, Freud«, sagte Vater.
»Na und, was ist schon ein Gesicht?« sagte Freud. »Auch nur Haut, ja? Wie an den Händen oder Füßen. Ich habe schon eine Menge Füße vernäht. Schnitte von Äxten und Sägen - die Holzfäller, diese Dummköpfe.«
Draußen schleppten die anderen Deutschen vom Schiff Koffer und schweres Gepäck vom Landesteg zum Hoteleingang auf dem kürzesten Weg - direkt über das achtzehnte Grün. »Seht euch das an, diese Schweine«, sagte Freud. »Machen Dellen in den Rasen, wo nachher der kleine weiße Ball hängenbleibt.«
Der Oberkellner kam in Freuds Zimmer. Es war das beste Zimmer der Männerunterkunft - niemand wußte, wie Freud es ergattert hatte. Der Oberkellner begann sich auszuziehen.
»Alles bis aufs Jackett, Dummkopf«, sagte Freud zu ihm. »Ärzte tragen keine Kellneruniform.«
Vater hatte eine schwarze Smokingjacke, die einigermaßen zu der schwarzen Kellnerhose paßte, und er brachte sie Freud.
»Ich hab es denen schon tausendmal gesagt«, sagte der Oberkellner - mit einer Bestimmtheit, die durch seine Nacktheit komisch wirkte. »Es sollte einen Arzt geben, der hier im Hotel lebt.«
Als Freud sich völlig angezogen hatte, sagte er: »Den gibt es.« Der Empfangschef lief vor ihm her zum Hauptgebäude des Hotels zurück. Vater sah, wie der Oberkellner hilflos auf Freuds abgelegte Kleider blickte; sie waren nicht sehr sauber, und sie rochen stark nach State o' Main; der Kellner hatte sichtlich keine Lust, sie anzuziehen. Vater lief aus dem Zimmer, um Freud einzuholen.
Die Deutschen, inzwischen in der Zufahrt vor dem Eingang, zerrten einen großen Überseekoffer durch den knirschenden Kies; der Weg würde am nächsten Morgen geharkt werden müssen. »Gibt es in diesem Hotel so wenig Angestellte, daß uns niemand hilft?« brüllte einer der Deutschen.
Auf der makellos sauberen Anrichte zwischen dem Hauptspeisesaal und der Küche lag der massige Deutsche mit dem
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