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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Mozart; vielleicht sogar dieser Krautfresser Wagner«, sagt Frank. Und ich weiß nicht einmal, ob die Saison an dem Abend eröffnet wurde, als Vater und ich den Mann in der weißen Smokingjacke sahen. Klar war nur, daß es in der Staatsoper eine Vorstellung gab.
    »Die italienische Fassung der Lucia aus dem Jahr 1835 wurde 1837 zum erstenmal in Wien gegeben«, erzählte mir Frank. »Natürlich ist sie seither noch öfter gegeben worden. Am denkwürdigsten vielleicht«, fügte Frank hinzu, »mit der großen Adelina Patti in der Titelrolle - vor allem an dem Abend, als ihr Kleid in dem Moment Feuer fing, als sie die Wahnsinnsarie zu singen begann.«
    »Was denn für eine Wahnsinnsarie, Frank?« fragte ich ihn.
    »Man muß es sehen, um es glauben zu können«, sagte Frank, »und selbst dann ist es nur schwer zu glauben. Doch das Kleid der Patti fing in dem Moment Feuer, als sie die Wahnsinnsarie zu singen begann - die Bühne wurde damals noch mit Gasflammen beleuchtet -, und sie muß einer von ihnen zu nahe gekommen sein. Und weißt du, was die große Adelina Patti machte?« fragte mich Frank.
    »Nein«, sagte ich.
    »Sie riß sich das brennende Kleid vom Leib und sang weiter«, sagte Frank. »In Wien«, fügte er hinzu, »war das die große Zeit.«
    Und in einem von Franks Opernbüchern las ich, daß Adelina Pattis Lucia vom Schicksal für solche Zwischenfälle ausersehen schien. In Bukarest wurde die berühmte Wahnsinnsarie zum Beispiel dadurch gestört, daß jemand aus dem Publikum in den Orchestergraben fiel - direkt auf eine Frau; in der allgemeinen Panik rief jemand: »Es brennt!«, doch die große Patti schrie nur: »Es brennt nicht!« - und sang weiter. Und in San Francisco warf irgendein Spinner eine Bombe auf die Bühne, und wieder schaffte es die furchtlose Patti, die Leute auf ihren Plätzen festzuhalten. Und das, obwohl die Bombe explodierte!
    »Eine kleine Bombe«, versicherte mir Frank.
    Nicht so klein war dagegen das, was Frank und ich zwischen Arbeiter und Ernst hatten zur Oper fahren sehen; die Bombe war so schwer wie Kummer, so groß wie ein Bär. Und es ist kaum anzunehmen, daß an dem Abend, als Vater und ich dem Sacher Auf Wiedersehen sagten, in der Wiener Staatsoper Donizettis Lucia gegeben wurde. Wenn ich mir gerne einbilde, es sei Lucia gewesen, so habe ich dafür meine eigenen Gründe. In dieser Oper fließen nämlich eine Menge Blut und Schlagobers - das gibt sogar Frank zu -, und irgendwie schien mir die irre Geschichte von einem Bruder, der seine Schwester in den Wahnsinn und in den Tod treibt, weil er sie einem Mann aufzwingt, den sie nicht liebt ... nun, man wird verstehen, warum mir diese spezielle Version von Blut und Schlagobers besonders angemessen schien.
    »Jede sogenannte ernste Oper besteht aus Blut und Schlagobers«, erklärte mir Frank einmal. Ich weiß nicht viel über die Oper und kann deshalb nicht sagen, ob das stimmt; ich weiß nur, daß meiner Meinung nach Lucia di Lammermoor auf dem Programm der Wiener Staatsoper hätte stehen müssen, an dem Abend, als Vater und ich vom Hotel Sacher zurück zum Hotel New Hampshire gingen.
    »Es spielt eigentlich keine Rolle - welche Oper es war«, sagt Frank immer, aber ich bilde mir gerne ein, es war Lucia. Ich bilde mir gerne ein, daß sie noch nicht bei der berühmten Wahnsinnsarie waren, als Vater und ich ins Hotel New Hampshire zurückkamen. Susie der Bär war in der Lobby - ohne ihren Bärenkopf! -, und sie weinte. Vater ging direkt an Susie vorbei, scheinbar ohne zu bemerken, wie durcheinander sie war - und nicht im Kostüm! -, aber unglückliche Bären waren für meinen Vater nichts Neues.
    Er ging schnurstracks die Treppen hoch. Er wollte Kreisch-Annie die schlechte Nachricht von den Radikalen, die schlechte Nachricht für das Hotel New Hampshire, überbringen. »Sie hat wahrscheinlich einen Kunden bei sich, oder sie ist draußen auf der Straße«, sagte ich zu ihm, aber Vater sagte, er werde einfach vor ihrem Zimmer auf sie warten.
    Ich setzte mich zu Susie.
    »Sie ist immer noch bei ihm«, schluchzte Susie. Wenn Franny immer noch bei Ernst dem Pornographen war, dann war klar, daß sie mit ihm nicht nur redete. Es gab für Susie keinen Grund mehr, so zu tun, als sei sie ein Bär. Ich nahm Susies Bärenkopf in meine Hände, ich setzte ihn auf, ich nahm ihn wieder ab. Ich konnte nicht einfach in der Lobby sitzen und warten, bis Franny, wie eine Nutte, mit ihm fertig war und wieder in die Lobby herunterkam - und ich wußte, ich war

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