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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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zu lassen, wie überrascht ich war, daß er es nicht kannte.
    »Das muß ich mir merken und mal herkommen, irgendwann«, sagte er.
    Eigentlich wollte ich für unseren Spaziergang einen anderen Abschluß, doch dann landeten wir just zu der Zeit vor dem Hotel Sacher, als der Himmel dunkler zu werden begann - und als sie in der Sacher-Bar die Lichter anmachten. Wir blieben stehen und sahen zu, wie in der Bar die Lichter angingen; für mich ist das einfach die schönste Bar, die es gibt. »In der ganzen Welt«, sagte Frank einmal auf deutsch.
    »Laß uns hier was trinken«, sagte Vater, und wir gingen hinein. Ich machte mir ein wenig Sorgen wegen seiner Kleidung. Ich selbst sah ganz ordentlich aus; so sehe ich immer aus - ganz ordentlich. Aber Vater kam mir plötzlich ein bißchen schäbig vor. Seine Hosen waren so konsequent ungebügelt, daß seine Beine rund wie Ofenrohre waren - bloß ausgebeult; er hatte in den Wiener Jahren an Gewicht verloren. Ohne die gewohnte Hausmannskost war er ein wenig schmal geworden, und obendrein war auch noch sein Gürtel zu lang - Franks Gürtel, genauer gesagt; Vater hatte ihn nur ausgeliehen. Er trug ein sehr verwaschenes grauweißes fein gestreiftes Hemd, das ganz ordentlich aussah - es hatte mir gehört, bevor die fortgeschrittenen Stadien des Gewichthebens meinen Oberkörper verändert hatten; es hätte mir nun nicht mehr gepaßt, aber es war kein schlechtes Hemd, lediglich verschossen und ein wenig zerknittert. Störend war nur, daß das Hemd gestreift und die Jacke kariert war. Gott sei Dank trug Vater nie eine Krawatte - ich schauderte beim Gedanken an die Krawatte, die Vater getragen hätte. Doch dann wurde mir klar, daß uns niemand im Sacher von oben herab behandeln würde, denn ich sah zum erstenmal, wie mein Vater wirklich aussah. Er sah aus wie ein sehr exzentrischer Millionär; er sah aus wie der reichste Mann der Welt, aber ein Mann, der sich einen Dreck um die Meinung der anderen scherte. Er sah aus wie jene sehr wohlhabende Mischung aus Großzügigkeit und Schwäche; er konnte tragen, was er wollte, und sah immer aus, als habe er eine Million Dollar in der Tasche - selbst wenn diese Tasche ein Loch hatte. In der Sacher-Bar waren einige ungemein gutgekleidete und wohlhabende Leute, aber als mein Vater und ich hereinkamen, betrachteten sie ihn mit einem geradezu herzzerreißenden Neid in den Blicken. Ich glaube, Vater sah das, auch wenn er von der realen Welt sehr wenig sah; und er reagierte ganz gewiß naiv auf die Art und Weise, wie die Frauen ihn ansahen. Es gab Leute in der Sacher-Bar, die über eine Stunde darauf verwendet hatten, sich anzuziehen, und mein Vater war ein Mann, der während seiner sieben Jahre in Wien insgesamt nicht einmal fünfzehn Minuten auf das Kaufen seiner Kleider verwendet hatte. Er trug, was meine Mutter ihm gekauft hatte und was er von Frank und mir borgen konnte.
    »Good evening, Mr. Berry«, sagte der Barkeeper zu ihm, und in dem Moment wurde mir klar, daß mein Vater die ganze Zeit hierherkam.
    »Guten Abend«, sagte Vater, und damit war sein Deutsch im wesentlichen erschöpft. Er konnte noch Bitte und Danke und Auf Wiedersehen sagen, und er konnte sich höchst elegant verbeugen.
    Ich bestellte ein Bier, und mein Vater bestellte »das Übliche«. Sein »Übliches« war ein gräßlich aussehender, klumpiger Drink, dem eine Art Whisky oder Rum zugrunde lag, der aber eher wie eine Portion Eiscreme mit Sirup aussah. Vater hielt nicht viel vom Trinken; er nahm nur ein kleines Schlückchen davon und verbrachte Stunden damit, in dem Rest herumzustochern. Er kam nicht zum Trinken her.
    Die bestaussehenden Leute Wiens kamen auf einen Drink vorbei, und die Gäste des Hotels Sacher machten in der Sacher-Bar ihre Pläne oder trafen sich mit Bekannten, um anschließend zum Essen auszugehen. Der Barkeeper hatte natürlich keine Ahnung, daß mein Vater in dem schrecklichen Hotel New Hampshire wohnte, nur ein paar Minuten weiter - wenn man langsam ging. Ich frage mich nur, wo Vater in den Augen des Barkeepers herkam. Von einer Yacht vermutlich, oder wenigstens aus dem Bristol oder dem Ambassador oder dem Imperial. Und mir wurde klar, daß Vater eigentlich nie die weiße Smokingjacke gebraucht hatte, um die Rolle zu spielen.
    »Ich weiß«, sagte Vater in der Sacher-Bar mit ruhiger Stimme zu mir. »Ich weiß, John, ich bin ein Versager. Ich hab euch alle im Stich gelassen.«
    »Nein, das stimmt nicht«, sagte ich zu ihm.
    »Und jetzt heißt's zurück ins

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