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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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später einmal. Und Frank meinte: »In seinem Spiel fehlten einige Karten.«
    »Es wird schon werden, Pop«, glaubte Franny Vater sagen zu müssen, an diesem Nachmittag im ehemaligen Gasthaus Freud.
    »Klar, Dad«, sagte Frank. »Wir kommen schon über die Runden!«
    »Ich werde Millionen verdienen, Daddy«, sagte Lilly.
    »Laß uns ein bißchen rausgehen, Pop«, sagte ich zu ihm.
    »Wer sagt den Nutten Bescheid?« fragte er verwirrt.
    »Erzähl es einer, und schon wissen es alle«, sagte Franny.
    »Nein«, sagte Freud, »manchmal haben sie Geheimnisse voreinander. Ich werde Babette davon erzählen«, sagte Freud. Babette war Freuds Lieblingsnutte.
    »Ich erzähl's der Alten Billig«, sagte Susie der Bär.
    »Ich erzähl's Kreisch-Annie«, sagte mein Vater; er schien benommen.
    Als sich niemand anbot, Jolanta zu informieren, erklärte ich mich dazu bereit. Franny sah mich an, aber ich schaffte es, wegzublicken. Ich sah, daß Frank sich auf die Schneiderpuppe konzentrierte; er hoffte auf eindeutige Signale. Lilly ging auf ihr Zimmer; sie kam mir so klein vor - sie war natürlich so klein. Bestimmt ging sie auf ihr Zimmer, um weitere Wachstumsversuche zu machen - zu schreiben und zu schreiben. Bei unseren Familiensitzungen in diesem zweiten Hotel New Hampshire war Lilly immer noch so klein, daß Vater zu vergessen schien, wie alt sie mittlerweile war; oft nahm er sie mit ihren achtzehn Jahren einfach auf den Schoß und spielte mit ihrem Zopf. Lilly störte das nicht; sie sagte mir einmal, das einzige, was ihr am Kleinsein gefalle, sei, daß Vater sie immer noch behandle, als wäre sie ein Kind.
    »Unser schreibendes Kind«, wie sie Frank, der Agent, gelegentlich bezeichnete.
    »Laß uns ein bißchen rausgehen, Pop«, sagte ich noch einmal. Ich war nicht sicher, daß er mich gehört hatte.
    Wir gingen durch die Lobby; jemand hatte auf der durchgesessenen Couch gegenüber dem Empfangsschalter einen Aschenbecher ausgeleert, und ich wußte, daß Susie mit Putzen dran sein mußte. Susie meinte es gut, aber sie war schlampig; es sah in der Lobby immer fürchterlich aus, wenn Susie mit Putzen dran war.
    Franny stand am Fuß der Treppe und starrte nach oben. Ich konnte mich nicht erinnern, daß sie zum Umziehen weggewesen war, aber es kam mir plötzlich vor, als habe sie sich feingemacht. Sie trug ein Kleid. Franny gehörte zwar nicht zu denen, die sich nur in Jeans und T-Shirts wohlfühlen - sie mochte weite Röcke und Blusen -, aber sie hatte es auch nicht mit feinen Kleidern; im Augenblick trug sie ihr hübsches dunkelgrünes mit den schmalen Trägern.
    »Es ist bereits Herbst«, sagte ich ihr. »Das ist ein Sommerkleid. Du wirst frieren.«
    »Ich geh nicht aus«, sagte sie und starrte immer noch die Treppe hoch. Ich blickte auf ihre nackten Schultern und fror für sie. Es war später Nachmittag, aber wir wußten beide, daß Ernst noch nicht Feierabend gemacht hatte - er war noch an der Arbeit, oben im vierten Stock. Franny stieg die Treppe hoch. »Ich will ihn nur in Sicherheit wiegen«, sagte sie zu mir, ohne mich - oder Vater - anzusehen. »Keine Angst, ich sage ihm nicht, was wir wissen - ich werde mich dumm stellen. Ich will nur herausfinden, was er weiß«, sagte sie.
    »Er ist echt fies, Franny«, sagte ich zu ihr.
    »Ich weiß«, sagte sie, »und du denkst zuviel an mich.«
    Ich ging mit Vater hinaus auf die Krugerstraße. Für die Nutten waren wir noch zu früh dran, aber der Arbeitstag war lange vorüber: die Pendler waren wohlbehalten in den Vororten, und nur die eleganten Leute gingen spazieren, um vor dem Essen - oder vor der Oper - die Zeit totzuschlagen.
    Wir gingen die Kärnter Straße hinunter zum Graben und gafften pflichtschuldig den Stephansdom an. Wir schlenderten zum Neuen Markt und beguckten uns die Nackten am Donner-Brunnen. Ich merkte, daß Vater nichts über sie wußte, und gab ihm einen kurzen Abriß der repressiven Maßnahmen unter Maria Theresia. Er schien ehrlich interessiert. Wir gingen an dem üppigen, in Scharlachrot und Gold gehaltenen Portal vorbei, das vom Neuen Markt in das Hotel Ambassador führte; Vater vermied es, das Ambassador anzuschauen, oder er schaute statt dessen den in den Brunnen scheißenden Tauben zu. Wir gingen weiter. Bis zum Einbruch der Dunkelheit blieb noch ein bißchen Zeit. Als wir am Cafe Mozart vorbeikamen, sagte Vater: »Sieht aus wie ein nettes Lokal, jedenfalls viel netter als das Cafe Mowatt.«
    »Das ist es auch«, sagte ich und versuchte, mir nicht anmerken

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