Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
außer Franny und der erstklassigen unübertrefflichen Hysterikerin namens Scurvy; sie zuckten nicht einmal. Franny ließ das Telefon ein paarmal klingeln. Lilly kam aus dem Schlafzimmer; in ihrer Schwesternkleidung sah sie sauber und gepflegt aus. Als es vielleicht das vierte Mal klingelte, nickte sie Franny zu, und Franny nahm den Hörer ab. Sie sagte nichts.
    »Hallo?« sagte Chipper Dove. »Franny?« hörten wir ihn fragen. Franny zitterte, aber Lilly nickte ihr weiterhin zu.
    »Komm schnell rauf«, flüsterte Franny in das Telefon. »Komm rauf, solange meine Pflegerin noch fort ist!« zischte sie. Dann legte sie auf; sie würgte, und ich dachte schon, sie müsse wieder ins Bad gehen und sich übergeben, aber sie hielt stand, und es ging ihr gleich wieder besser.
    Lilly rückte ihren straffen, mausgrauen kleinen Haarknoten zurecht, der in Wirklichkeit eine Perücke war. Sie sah aus wie eine alte Pflegerin in einem Heim für Zwerge; die Frauen vom West Village Workshop hatten aus Lillys Gesicht eine runzlige Dörrpflaume gemacht. Sie trat in den Wandschrank gleich neben dem Ausgang, und zog die Tür hinter sich zu. Wenn man im Wohnzimmer der
    Suite war, konnte man die Schranktür leicht mit der Eingangstür verwechseln.
    Scurvy lud sich einen Stapel sauberer Bettwäsche auf den Arm und ging hinaus auf den Gang. »Fünf bis sieben Minuten nach ihm«, sagte ich ihr.
    »Ich brauch keine Ermahnungen«, sagte sie mürrisch. »Ich kann an der Tür horchen und auf mein verficktes Stichwort warten«, ließ sie mich verächtlich wissen. »Schließlich bin ich Profi.«
    Eines hatten die Frauen vom West Village Workshop gemeinsam, wie Susie mir anvertraut hatte: Sie waren alle vergewaltigt worden.
    Ich begann mit meiner Gewichtarbeit. Ich stieß die Hantel einige Male rasch nach oben, um Blut in meine Muskeln zu pumpen. Susie der Bär legte sich - weg von Franny - ans Fußende der Couch und rollte sich zusammen, als wolle sie schlafen. Sie versteckte ihre Krallen und die Schnauze mit dem Beißkorb; von hinten sah sie aus wie ein schlafender Hund. Die schwarze Frau namens Ruthie - die mächtige Frau, die ein Klon von Junior Jones war - ließ sich neben Franny auf die Couch plumpsen. Als der Bär in seinem Winterschlaf zu schnarchen anfing, zog Frank den Kaftan aus und hängte ihn an einen Türknauf - er trug jetzt nur noch das hautenge schwarze Trikot - und ging in Lillys Schlafzimmer und schaltete die Musik ein. Vom Wohnzimmer aus konnte man durch die Schlafzimmertür auf das Bett blicken. Als die Musik einsetzte, begann Frank auf dem Bett zu tanzen. Die Musik hatte Frank sich selbst ausgesucht. Die Wahl war ihm nicht schwergefallen: er entschied sich für die Wahnsinnsarie aus Donizettis Lucia.
    Ich warf einen Blick auf Franny und sah, wie sich ein paar Tränen aus den Stecknadellöchern zwängten, zu denen die Frauen Frannys Augen zurechtgeschminkt hatten; die Tränen hinterließen wüste Spuren in dem dicken Make-up.
    Franny verknotete die Finger in ihrem Schoß, und ich klopfte sachte an die Schranktür und flüsterte: »Ein Meisterwerk, Lilly«, sagte ich. »Es hat alle Merkmale eines Meisterwerks.«
    »Ihr dürft bloß euren Text nicht vermasseln«, flüsterte Lilly.
    Als Chipper Dove an die Tür klopfte, wölbten sich meine Bizepse so, wie Lilly das haben wollte, und auch die Unterarme sahen recht gut aus. Mir lief ein wenig Schweiß über die ölige Haut, und im Schlafzimmer fing Lucia an zu schreien. Frank hüpfte so unglaublich plump auf dem Bett herum, daß ich kaum hinsehen konnte.
    »Herein!« rief Franny nach draußen zu Chipper Dove, und als ich sah, daß sich der Türknauf drehte, packte ich die Tür von innen und ließ Chipper Dove herein - blitzschnell. Ich muß die Tür wohl etwas heftiger aufgerissen haben, als nötig gewesen wäre, denn Chipper Dove flog regelrecht ins Zimmer - und landete auf allen vieren. Ich hängte das N ICHT -STÖREN-Schild außen an den Türgriff und machte die Tür hinter ihm zu.
    »Sieh mal an, wen haben wir denn da«, sagte Franny in ihrer besten eisigen Stimme.
    »Heiliger Strohsack!« schrie Frank, hoch aufgerichtet auf dem federnden Bett.
    Ich rollte die Hantel gegen die Tür, aber Chipper Dove stand einigermaßen gelassen auf. Er hatte dieses nie ersterbende Lächeln aufgesetzt; bis jetzt war es jedenfalls noch nicht erstorben.
    »Was soll das alles, Franny?« fragte er sie lässig, aber Frannys Text war bereits zu Ende. (»Sieh mal an, wen haben wir denn da.« Mehr brauchte

Weitere Kostenlose Bücher