Das Hotel New Hampshire
Weiß, wie eine Braut. Wir fragten uns besorgt, ob Lillys Drehbuch nicht zu theatralisch war.
Frank stand in seinem schwarzen Trikot und einem lindgrünen Kaftan vor dem Fenster und blickte hinaus. Im
Gesicht hatte er nur etwas Lippenstift.
»Ich weiß nicht«, sagte Frank besorgt. »Wenn er nun nicht kommt?«
Susies zwei Freundinnen waren da - die verletzten Frauen vom West Village Workshop. Sie waren, wie Susie uns erzählt hatte, von Männern verletzt worden. Die eine der beiden war eine Schwarze namens Ruthie; sie sah aus wie ein beinahe perfektes, durch Klonen gewonnenes Ebenbild von Junior Jones. Sie trug eine Schaffellweste, ohne etwas darunter, und dazu eine leuchtend grüne, unten weite Hose, über der ihr Bauch wabbelte. Sie hatte sich einen langen silbernen Nagel, der fast so dick war wie ein Schienennagel, durch ihren verrückten Haarschopf gesteckt. Sie hielt eine lange Lederleine in einer ihrer großen schwarzen Hände; am Ende der Leine war Susie der Bär.
Das Bärenkostüm war ein Triumph menschlicher Einfühlungsgabe. Besonders die Schnauze, wie Frank betont hatte. Besonders die Reißzähne. Der Eindruck einer feuchten Schnauze. Und der traurige Wahnsinn der Augen. (Tatsächlich sah Susie aus dem Maul.)
Eine besondere Feinheit waren auch die Krallen; sie waren echt, wie Susie stolz hervorhob - die ganzen Tatzen waren echt. Es verstärkte irgendwie die Echtheit des Ganzen, daß Susie einen Beißkorb trug. Wir hatten den Beißkorb in einem Fachgeschäft für die Ausrüstung von Blindenhunden gekauft; es war ein echter Beißkorb.
Wir hatten den Temperaturregler für die Heizung so weit aufgedreht, wie es nur ging, weil Franny klagte, ihr sei kalt. Susie sagte, ihr gefalle die Hitze; sie fühle sich mehr als ein Bär, wenn sie stark schwitze, und uns war klar, daß sie in dem Bärenkostüm schweißnaß war. »Ich habe mich noch nie so stark als Bär gefühlt«, sagte Susie zu uns, während sie auf allen vieren im Zimmer auf und ab ging.
»Heute bist du ganz Bär, Susie«, sagte ich zu ihr.
»Der Bär in dir, Susie, kommt heute aus dir raus«, sagte Lilly zu ihr.
Franny saß in dem Brautkleid auf der Couch, und die Kerze auf dem Tisch neben ihr brannte mit einer schwächlichen Flamme. Überall in der Suite waren Kerzen angezündet, und sämtliche Jalousien waren heruntergelassen. Frank hatte ein wenig Weihrauch verbrannt, so daß es in der ganzen Suite wirklich furchtbar roch.
Die andere Frau vom West Village Workshop war ein blasser, unscheinbarer, sehr mädchenhafter Typ mit strohblonden Haaren. Sie trug die Dienstkleidung einer Hausangestellten, so wie alle Zimmermädchen im Stanhope sie trugen, und sie hatte einen völlig gelangweilten, ausdruckslosen Blick, der ihrer stumpfsinnigen Beschäftigung entsprach. Sie hieß eigentlich Elizabeth, aber im Village nannte man sie Scurvy, also Skorbut. Sie war die beste Schauspielerin, die je aus dem West Village Workshop hervorging - sie war die Königin des Darstellervölkchens im Washington Square Park. Sie hätte einem ganzen Hinterhof voller Maulwürfe die Urschrei-Therapie beibringen können; sie hätte den Maulwürfen Schreie beibringen können, bei denen Regenwürmer aus dem Boden springen würden. Susie nannte sie eine erstklassige unübertreffliche Hysterikerin. »Niemand kann Hysterie besser darstellen als Scurvy«, sagte uns Susie der Bär, und Lilly hatte ihr eine erstklassige unübertrefflich hysterische Rolle auf den Leib geschrieben. Scurvy saß einfach da und rauchte; sie sah so leblos aus wie ein Penner auf einer Parkbank.
Ich spielte mitten im Wohnzimmer ein bißchen mit der großen Hantel herum. Frank und Lilly hatten mich gründlich eingefettet; ich war von Kopf bis Fuß voller Öl und roch wie ein Salat, aber das Öl hob meine Muskeln auf besondere Art hervor. Ich trug eines dieser knappen einteiligen Trikots - dieses wie ein altmodischer Badeanzug aussehende Ding, das von Ringern und Gewichthebern getragen wird.
»Halt deine Muskeln warm«, sagte Coach Lilly zu mir, »tu gerade so viel, daß die Adern schön hervortreten. Wenn er hier reinkommt, möchte ich, daß diese Adern an deiner Hautoberfläche regelrecht herausschnellen.«
»Falls er hier reinkommt«, stieß Frank ungeduldig hervor.
»Er wird kommen«, sagte Franny leise. »Er ist schon ganz nahe«, sagte sie und machte die Augen zu. »Ich weiß, daß er schon ganz nahe ist«, wiederholte sie.
Als das Telefon klingelte, fuhren alle in dem Zimmer zusammen - alle
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