Das Hotel New Hampshire
Umkleideraum der Mädchen gewesen war - zum Trocknen aufgehängte Socken und Unterwäsche waren hier also nichts Neues. Mrs. Urick und mein Vater waren sich einig, daß Hausmannskost für das Hotel New Hampshire am attraktivsten sei. Für Mrs. Urick hieß das: zweierlei Braten oder ein Gemüseeintopf nach Neuengländer Art; zwei Sorten von Kuchen - und am Montag allerlei Fleischpasteten, deren Zusammensetzung von den Bratenresten bestimmt wurde. Zum mittäglichen Imbiß gab es Suppen und Aufschnitt, zum Frühstück Pfannkuchen, und so fort.
»Nichts Übertriebenes - schlicht, aber gut«, sagte Mrs. Urick, die ziemlich humorlos war; sie erinnerte Franny und mich an die Diätspezialistinnen, die es in Internaten gibt und die wir von der Dairy School her kannten - unerschütterlich in ihrem Glauben, daß das Essen keinen Spaß macht, aber irgendwie moralisch wesentlich ist. Wir teilten Mutters Befürchtungen in bezug auf die Küche - schließlich ging es auch um unser tägliches Essen -, aber Vater war überzeugt, daß mit Mrs. Urick alles klappen würde.
Sie bekam ihren eigenen Raum im Untergeschoß, »damit ich meine Küche in der Nähe habe«, sagte sie; sie nahm wohl an, sie könnte ihre Fleischbrühen-Töpfe auch nachts auf Sparflamme köcheln lassen. Auch Max Urick bekam sein eigenes Zimmer - im dritten Stock. Es gab keinen Aufzug, und mein Vater war froh, ein Zimmer im obersten Stock belegen zu können. Die Toiletten und Waschbecken dort waren zwar auf Knirpse zugeschnitten, aber da Max seine Toilettengeschäfte viele Jahre lang in der beengten Latrine der Miss Intrepid verrichtet hatte, brachten ihn die zwergenhaften Dimensionen nicht aus der Fassung.
»Gut für mein Herz«, erklärte uns Max. »Hält die Pumpe in Schwung - das ganze Treppensteigen«, sagte er und schlug sich mit der verstümmelten Hand auf die zähe graue Brust. Doch wir hatten den Eindruck, daß Max sehr viel in Kauf nahm, um von Mrs. Urick so weit wie möglich weg zu sein; dafür stieg er auch Treppen und schränkte sich beim Händewaschen und Pinkeln ein. Angeblich hatte er geschickte Hände, und wenn er gerade nicht Mrs. Urick in der Küche half, war er mutmaßlich damit beschäftigt, irgend etwas im Haus zu reparieren. »Alles von der Toilette bis zum Türschloß!« behauptete er; er konnte mit der Zunge schnalzen, daß es sich anhörte, als werde ein Schlüssel in einem Schloß umgedreht, und er konnte das Geräusch eines gewaltigen Wasserschwalls erzeugen - wie die winzigen Toiletten im dritten Stock des Hotels New Hampshire, wenn sie ihr Zeug auf eine ehrfurchtgebietende, lange Reise schickten.
»Wofür ist die zweite Vorbestellung?« fragte ich Vater.
Wir wußten, daß es im Frühjahr ein Wochenende mit einer Abschlußfeier an der Dairy School geben würde; und vielleicht ein Wochenende mit einem großen Eishockeyspiel im Winter. Doch die wenigen - wenn auch regelmäßigen - Besuche von Eltern bei ihren Sprößlingen an der Dairy School würden kaum Vorbestellungen erfordern.
»Die Abschlußfeier, hab ich recht?« fragte Franny. Doch Vater schüttelte den Kopf.
»Eine riesige Hochzeit!« rief Lilly, und wir blickten sie groß an.
»Wessen Hochzeit denn?« fragte Frank.
»Weiß ich doch nicht«, sagte Lilly. »Aber jedenfalls eine riesige - eine wirklich große. Die größte Hochzeit in ganz Neuengland.«
Wir wußten nie, wie Lilly auf all die Dinge kam, die sie sich ausdachte; Mutter warf ihr einen besorgten Blick zu, dann wandte sie sich an Vater.
»Tu nicht so geheimnisvoll«, sagte sie. »Wir wollen es alle wissen: wofür ist die zweite Vorbestellung?«
»Sie ist erst für den Sommer«, sagte er. »Wir können uns noch lange genug darauf vorbereiten. Jetzt müssen wir uns auf das Exeter-Wochenende konzentrieren. Alles zu seiner Zeit.«
»Es ist wahrscheinlich eine Konferenz der Blinden«, sagte Franny morgens zu Frank und mir, als wir in die Schule gingen.
»Oder ein Lepra-Seminar«, sagte ich.
»Es wird schon recht sein«, sagte Frank beunruhigt.
Den Weg durch den Wald hinter dem Trainingsplatz benützten wir nicht mehr. Wir gingen quer über die Fußballfelder und warfen manchmal unsere Apfelbutzen in die Tore, oder aber wir nahmen den Hauptweg durch das Schulgelände, neben dem links und rechts die Wohnheime lagen. Es lag uns sehr daran, auch weiterhin Iowa-Bobs Rückraumspielern aus dem Weg zu gehen; keiner von uns hatte Lust, allein von Chipper Dove erwischt zu werden. Wir hatten Vater nichts von dem Vorfall
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