Das Hotel New Hampshire
Andover. Am schlimmsten war es immer, wenn wir auswärts antreten und gegen diese Schulen auf ihrem eigenen gepflegten Rasen spielen mußten. Exeter hatte zum Beispiel ein richtiges Stadion; beide, Exeter und Andover, hatten einen schicken Dress; beide waren zu der Zeit reine Jungenschulen - und man ging dort nur im Jackett und mit Krawatte zum Unterricht. Einige der Schüler kamen sogar im Jackett und mit Krawatte zu den Footballspielen, aber selbst wenn sie salopp gekleidet waren, sahen sie besser aus als wir. Wir fühlten uns erbärmlich, wenn wir solche Schüler sahen - so sauber und selbstbewußt. Und jedes Jahr stolperte unser Team aufs Spielfeld und sah aus wie Scheiße und Tod - und wenn das Spiel vorbei war, entsprach das genau unserer Stimmung.
Exeter und Andover wechselten sich ab: beide hatten uns gern in ihrem vorletzten Saisonspiel zum Gegner - um sich richtig warmzuspielen, denn im letzten Spiel der Saison traten sie gegeneinander an.
Doch in Iowa-Bobs erfolgreicher Saison war es ein Heimspiel für uns, und der Gegner war in diesem Jahr Exeter. Sieg oder Niederlage - daß es eine erfolgreiche Saison war, stand schon vorher fest; aber die meisten Leute - selbst mein Vater und Coach Bob - dachten, die diesjährige Dairy-Mannschaft hätte die Chance zum ›Durchmarsch‹: ungeschlagen zu bleiben, mit einem Sieg im letzten Spiel gegen Exeter, eine Schule, gegen die die Dairy School noch nie gewonnen hatte. Die erfolgreiche Saison brachte sogar die Ehemaligen zurück, und das Wochenende mit dem Spiel gegen Exeter wurde zum Wochenende der Eltern erklärt. Coach Bob hätte zusätzlich zu seinen gekauften Rückraumspielern - und Junior Jones - gerne auch einen neuen Dress gehabt, aber es befriedigte den alten Herrn, sich vorzustellen, seine abgerissene Scheiße-und-Tod-Truppe könnte möglicherweise Exeters schneeweiße Trikots mit den knallroten Buchstaben und den knallroten Helmen wie Hühner übers Spielfeld scheuchen.
Exeter war in dem Jahr ohnehin nicht so super; sie mogelten sich so durch, mit 5 Siegen und 3 Niederlagen - zwar gegen bessere Teams, als wir gewöhnlich zu sehen bekamen, aber was sie in diesem Jahr aufzubieten hatten, war keine der großen Exeter-Mannschaften. Iowa-Bob sah, daß er eine Chance hatte, und mein Vater betrachtete die ganze Footballsaison als ein gutes Omen für das Hotel New Hampshire.
Für das Wochenende mit dem Spiel gegen Exeter wurden die Zimmer vorbestellt - das ganze Hotel war für zwei Nächte ausgebucht; und das Restaurant konnte für Samstagabend keine Tischbestellungen mehr annehmen.
Meine Mutter machte sich Sorgen wegen des »Küchenchefs«, wie Vater die betreffende Person beharrlich nannte; sie war eine Kanadierin aus Prince Edward Island, wo sie fünfzehn Jahre lang für eine große Seemannsfamilie gekocht hatte. »Es ist ein Unterschied, ob man für eine Familie kocht oder für ein Hotel«, gab Mutter Vater zu bedenken.
»Aber es war eine große Familie - das hat sie doch selber erzählt«, sagte Vater. »Außerdem sind wir nur ein kleines Hotel.«
»Für das Exeter-Wochenende sind wir ein volles Hotel«, sagte Mutter. »Und ein volles Restaurant.«
Die Köchin hieß Mrs. Urick; als Helfer hatte sie ihren Mann Max - einen ehemaligen Matrosen und Schiffskoch, dem an der linken Hand Daumen und Zeigefinger fehlten. Ein Unfall in der Kombüse eines Schiffes mit dem Namen Miss Intrepid (was nichts anderes heißt als »Fräulein Furchtlos«), erzählte er uns Kindern mit einem anzüglichen Augenzwinkern. Er war nicht bei der Sache gewesen, weil er sich auszumalen versuchte, was wohl Mrs. Urick mit ihm machen würde, wenn sie von den Stunden wüßte, die er an Land bei einer furchtlosen Dame in Halifax verbrachte.
»Mit einem Male blickte ich nach unten«, erzählte uns Max - Lilly ließ seine verstümmelte Hand keine Sekunde aus den Augen -, »und da lagen mein Daumen und mein Finger mitten unter den blutigen Mohrrüben, und das Hackmesser hackte munter weiter.« Max zuckte mit seiner Klauenhand, als schrecke er vor der Klinge zurück, und Lilly blinzelte heftig. Lilly war zehn, schien aber kaum größer, als sie mit acht gewesen war. Egg mit seinen sechs Jahren schien da robuster - und von Max Uricks Geschichten nicht im geringsten beeindruckt.
Mrs. Urick erzählte keine Geschichten. Stundenlang brütete sie über Kreuzworträtseln, ohne die Quadrate auszufüllen; sie hängte Max' Wäsche in der Küche auf, die zu Zeiten des Thompson Female Seminary der
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