Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
machte. Sie hatte nach einem Hoteljob fürs ganze Jahr gesucht - und, so nahm meine Mutter an, nach einer Möglichkeit, ein für allemal aus Hampton Beach rauszukommen. Sie war ungefähr so alt wie meine Mutter und behauptete sogar, sie erinnere sich, Earls Auftritte seinerzeit im Kasino gesehen zu haben. Es waren allerdings nicht seine Auftritte als Tänzer im Ballsaal, die sie gesehen hatte; vielmehr erinnerte sie sich an den Musikpavillon und die Szene mit dem Titel ›Auf dem Arbeitsamt‹.
    »Aber ich hab nie geglaubt, es sei ein echter Bär«, erzählte sie Franny und mir, während wir zuschauten, wie sie in ihrem Tagesraum einen kleinen Koffer auspackte. »Weil«, sagte Ronda Ray, »ich sagte mir einfach, es kann doch keiner scharf drauf sein, einen echten Bären auszuziehen.«
    Wir fragten uns, warum sie wohl Nachtzeug auspackte, wenn sie nicht vorhatte, die Nacht in diesem Tagesraum zu verbringen; sie war eine Frau, die Franny neugierig machte - und ich fand sie sogar exotisch. Sie hatte gefärbte Haare; ich kann nicht sagen, welche Farbe sie hatten, denn es war keine richtige Farbe. Sie waren nicht rot, sie waren nicht blond; sie hatten die Farbe von Plastik oder Metall, und ich hätte gern gewußt, wie sie sich anfühlten. Ronda Ray hatte einen Körper, der wohl früher einmal so stark war wie Frannys Körper, doch er war ein wenig dick geworden -immer noch voller Kraft, aber nicht mehr so leicht. Es ist schwer zu sagen, wie sie roch, obschon Franny nachher - nachdem wir Ronda Rays Zimmer verlassen hatten - einen Versuch machte.
    »Sie hat sich vor zwei Tagen Parfüm aufs Handgelenk gesprüht«, sagte Franny. »Kannst du mir folgen?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Aber sie hatte zu der Zeit ihr Uhrenarmband nicht an - ihr Bruder trug ihre Uhr, oder ihr Vater«, sagte Franny. »Ein Mann jedenfalls, und er hat unheimlich viel geschwitzt.«
    »Ja«, sagte ich.
    »Dann zog Ronda das Armband wieder an, über das parfümierte Handgelenk, und sie trug es einen Tag lang, während sie Betten abzog«, sagte Franny.
    »Was für Betten denn?« fragte ich.
    Franny dachte einen Augenblick nach. »Betten, in denen sehr seltsame Menschen geschlafen hatten«, sagte sie.
    »Der Zirkus, der sich Fritzens Nummer nennt, hat darin geschlafen!« sagte ich.
    »Genau!« sagte Franny.
    »Den ganzen Sommer!« sagten wir wie mit einer Stimme.
    »Genau«, sagte Franny. »Und was wir riechen, wenn wir Ronda riechen, ist der Geruch von Rondas Uhrenarmband - nach all dem.«
    Das kam der Sache ziemlich nahe, aber ich fand den Geruch ein klein wenig besser - nur ein klein wenig. Ich dachte an Ronda Rays Strümpfe, die sie in den Schrank ihres Tagesraumes hängte; ich dachte mir, wenn ich an den Strümpfen, die sie anhatte, direkt hinter dem Knie schnupperte, würde ich ihren wahren Geruch einfangen.
    »Du weißt doch, warum sie sie trägt?« fragte mich Franny.
    »Nein«, sagte ich.
    »Irgendein Mann hat ihr heißen Kaffee über die Beine gegossen«, sagte Franny. »Er hat es absichtlich getan. Er wollte sie verbrühen.«
    »Woher weißt du das?« fragte ich.
    »Ich hab die Narben gesehen«, sagte Franny. »Und sie hat es mir erzählt.«
    An der Steuertafel für die Quatschkisten schalteten wir alle anderen Zimmer ab und belauschten Ronda Ray in ihrem Tagesraum. Sie summte. Dann hörten wir sie rauchen. Wir malten uns aus, wie sie sich anhörte, wenn sie mit einem Mann zusammen war.
    »Schön laut«, sagte Franny. Wir horchten auf Rondas Atemzüge, vermischt mit dem Knistern der Sprechanlage - ein uraltes Ding, das von einer Autobatterie gespeist wurde, wie ein raffinierter elektrisch geladener Weidezaun.
    Als Lilly und Egg und Vater vom Spiel nach Hause kamen, setzten Franny und ich Egg in den Speiseaufzug und ließen ihn in dem über vier Stockwerke gehenden Aufzugsschacht rauf- und runterfahren, bis Frank uns verpfiff und Vater uns klarmachte, daß der Aufzug nur dazu verwendet werden würde, Wäsche und Geschirr und andere Dinge - nicht Menschen - aus den Zimmern nach unten zu bringen.
    Es sei nicht ungefährlich, sagte Vater. Wenn wir das Seil losließen, dann rase der Aufzug mit der Geschwindigkeit nach unten, die durch seine Reaktion auf die Schwerkraft bestimmt werde. Und das sei schnell - vielleicht nicht für Dinge, auf jeden Fall aber für einen Menschen.
    »Aber Egg ist doch leicht«, wandte Franny ein. »Ich meine, wir versuchen's ja nicht mit Frank.«
    »Ihr werdet es gar nicht mehr versuchen«, sagte Vater.
    Dann war Lilly

Weitere Kostenlose Bücher