Das Imperium der Woelfe
Geschichte.«
Charlier begann mit einem Brieföffner zu spielen. Einer Art Dolch aus dem Orient. Jede seiner Bewegungen verriet seine Nervosität etwas deutlicher. »Ich habe einen Bericht über die Sache in dem türkischen Bad gesehen. Irgendeine Erpressungsgeschichte, glaube ich... «
Schiffer konnte auch die kleinste Nuance erahnen, das kleinste Zittern in seiner Stimme wahrnehmen - das Ergebnis langjähriger Verhörpraxis. Charlier war im Grunde aufrichtig, denn in seinen Augen hatte der Überfall auf die Porte bleue keine besondere Bedeutung. Es fehlte ein weiterer Köder, um ihn endgültig festzunageln.
»Das war keine Erpressungsgeschichte.«
»Nein?«
»Die Grauen Wölfe sind wieder da, Charlier. Sie sind in das türkische Bad eingedrungen. In jener Nacht haben sie ein Mädchen entführt. Die Leiche wurde zwei Tage später gefunden.«
Die buschigen Brauen formten sich zu zwei Fragezeichen: »Warum sollten sie sich damit vergnügen, eine Arbeiterin abzuschlachten?«
»Sie haben einen Vertrag. Sie suchen eine Frau. Im türkischen Viertel. Du kannst dich in solchen Dingen auf mich verlassen. Sie haben sich schon drei Mal vertan.«
»Was hat das mit Sema Gokalp zu tun?«
An der Zeit, sich eine halbe Lüge auszudenken: »Sie hat in der Nacht im türkischen Bad alles gesehen. Sie ist eine wichtige Zeugin.«
Charliers Blick trübte sich. Damit hatte er nicht gerechnet, in keiner Weise.
»Worum geht es deiner Meinung nach? Was steht auf dem Spiel?«
»Ich weiß nicht«, log Schiffer weiter. »Aber ich suche diese Mörder. Und Sema kann mich auf ihre Spur bringen.«
Charlier lehnte sich tief in seinem Sessel zurück.
»Nenn mir einen einzigen Grund, weshalb ich dir helfen soll.«
Endlich setzte sich der Polizist. Die Verhandlung konnte beginnen.
»Ich bin in großzügiger Stimmung, deshalb nenne ich dir zwei«, sagte er lächelnd. »Erstens könnte ich deinen Vorgesetzten sagen, dass du in einer Mordsache Zeugen verschwinden lässt. Das gibt Ärger.«
Charlier lächelte zurück: »Ich kann dir den ganzen Papierkram zur Verfügung stellen. Ihren Abschiebungsbefehl. Ihr Flugticket. Alles nach Vorschrift.«
»Dein Arm reicht weit, Charlier, aber nicht bis in die Türkei. Mit einem einzigen Anruf kann ich nachweisen, dass Sema Gokalp dort nie eingetroffen ist.«
Der Kommissar schien in seinem Anzug an Gewicht verloren zu haben.
»Wer sollte einem Bullen glauben, dessen Ruf ruiniert ist? Seit deiner Zeit bei der Abteilung gegen organisiertes Verbrechen hat es dich immer wieder erwischt.«
Er breitete die Hände aus und zeigte auf das Zimmer. »Und ich bin an der Spitze der Pyramide.«
»Das ist der Vorteil meiner Position. Ich habe nichts zu verlieren.«
»Nenn mir lieber einen zweiten Grund.«
Schiffer stützte die Ellbogen auf dem Schreibtisch auf. Er wusste bereits, dass er gewonnen hatte: »Die Aktion gegen die Terroristen von 1995. Als du bei den Verdächtigen aus dem Maghreb in der Polizeistation Louis-Blanc ausgeflippt bist.«
»Willst du einen Kommissar erpressen?«
»Oder mein Gewissen erleichtern. Ich bin im Ruhestand. Ich könnte Lust haben auszupacken. Mich an Abdel Saroui erinnern, der durch deine Prügel starb. Wenn ich anfange, machen alle in Louis-Blanc mit. Das Gebrüll des Mannes in dieser Nacht, glaub mir, das liegt noch allen im Magen.«
Charlier hielt wieder den Brieföffner in den riesigen Händen. Als er zu sprechen begann, hatte seine Stimme sich verändert: »Sema Gokalp kann dir nicht mehr helfen.«
»Habt ihr sie...?«
»Nein. Sie wurde für ein Experiment verwendet.«
»Welche Art Experiment?«
Schweigen. Schiffer wiederholte: »Welche Art Experiment?«
»Eine psychische Veränderung. Eine neue Technik.«
Das war es also. Psychische Manipulation hatte Charlier schon immer fasziniert. In das Gehirn von Terroristen eindringen, ihr Bewusstsein verändern, diese Art von Blödsinn... Sema Gokalp war ein Versuchskaninchen gewesen, Objekt einer experimentellen Spinnerei.
Schiffer erkannte die Absurdität der Situation: Charlier hatte Sema Gokalp nicht ausgewählt, sie war ihm in die Hände gefallen. Er wusste nicht, dass sie ihr Gesicht verändert hatte. Und er konnte nicht wissen, wer sie in Wirklichkeit war.
Er stand wieder auf, von Kopf bis Fuß elektrisiert. »Warum gerade sie?«
»Wegen ihres seelischen Zustands. Sema litt unter partieller Amnesie, die sie für unsere Behandlung geeigneter machte als andere.«
Schiffer beugte sich nach vorn, als hätte er nicht
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