Das Imperium der Woelfe
haben die Drogen gefunden.«
»Wann?«
»Heute.« Amien blickte über seine Schulter nach hinten. »Im Columbarium.«
»Hier?«
»Wenn Sie in der Krypta noch etwas weiter gegangen wären, hätten Sie sie selbst entdeckt, verstreut zwischen der Asche der Toten. Das Heroin muss in einem der Fächer versteckt gewesen sein, die während der Schießerei zu Bruch gegangen sind. Jetzt ist es ungenießbar.« Er lächelte erneut. »Ich muss sagen, ein ziemlich markantes Symbol: Der weiße Tod trifft auf den grauen Tod... Schiffer wollte dieses Heroin heute Nacht holen. Seine Ermittlungen haben ihn zu den Drogen geführt.«
»Welche Ermittlungen?«
»Ihre.« Elektrische Kabel, die noch immer nicht verbunden waren.
Paul murmelte vor sich hin: »Ich kapier's nicht.«
»Es ist doch ganz einfach. Wir vermuten seit ein paar Monaten, dass der Kurier, den die Türken verwendet haben, eine Frau war. In der Türkei sind Frauen Ärztinnen, Ingenieurinnen, Ministerinnen. Warum nicht auch Drogenhändlerinnen?«
Diesmal klappte die Verbindung. Sema Gokalp, Anna Heymes. Die Frau mit den zwei Gesichtern. Die türkische Mafia hatte ihre Wölfe auf die Fährte der Frau gesetzt, die sie verraten hatte.
Die Beute war der Drogenkurier.
Paul rekonstruierte das Geschehen blitzschnell: Diese Nacht hatte Schiffer Sema in dem Moment überrascht, als sie die Drogen aus dem Versteck nahm. Es war zu einem Kampf gekommen, dann gab es ein Massaker. Und die Beute war immer noch...
Olivier Amien lachte nicht mehr: »Ihre Ermittlungen interessieren uns, Nerteaux. Wir haben den Zusammenhang zwischen den drei Opfern Ihres Falls und der Frau, die wir suchen, hergestellt. Die Chefs des türkischen Kartells haben Mörder losgeschickt, um sie ausfindig zu machen - und haben sie bisher verfehlt. Wo ist die Frau, Nerteaux? Haben Sie den kleinsten Hinweis, der uns auf ihre Spur führen könnte?«
Paul antwortete nicht. Er sah im Geist den Zug, der vor seiner Nase vorbeigefahren war: die Grauen Wölfe, die die Frauen foltern, auf der Suche nach den Drogen; Schiffer, der mit seinem Spürsinn allmählich herausgefunden hatte, dass er die Frau verfolgte, die ihn ausgespielt hatte und mit der kostbaren Beute geflohen war...
Plötzlich fasste er seinen Entschluss. Ohne Umschweife erzählte er Olivier Amien die ganze Geschichte. Die Entführung von Zeynep Tütengil und die Entdeckung von Sema Gokalp im türkischen Bad; das Eingreifen von Philippe Charlier und seine Säuberungsoperation; das Programm für psychische Konditionierung und die Erschaffung von Anna Heymes. Die Flucht dieser Frau, die ihre eigenen Spuren verfolgt und nach und nach ihr Gedächtnis wiedergefunden hatte, um von neuem in die Haut der Drogenschmugglerin zu schlüpfen und sich auf den Weg zum Friedhof zu machen.
Als Paul geendet hatte, schien der hohe Beamte völlig erschlagen. Nach einer langen Minute fragte er: »Ist Charlier deshalb hier?«
»Mit Beauvanier. Sie stecken bis zum Hals in dieser Geschichte drin. Sie sind gekommen, um sich zu vergewissern, dass Schiffer wirklich tot ist. Aber da ist ja noch Anna Heymes, und Charlier muss sie finden, bevor sie redet. Sobald er sie in die Finger kriegt, wird er sie umbringen. Sie laufen hinter demselben Hasen her.«
Amien baute sich vor Paul auf, mit steinernem Gesichtsausdruck blieb er reglos vor ihm stehen: »Um Charlier werde ich mich kümmern. Was haben Sie in der Hand, um herauszufinden, wo diese Frau steckt?«
Paul sah sich die Grabmäler an, die ihn umgaben. Ein altes Foto steckte in einem ovalen Rahmen. Eine sanfte Jungfrau, den Blick nach unten gesenkt, in ein romantisches Cape gehüllt. Ein schweigender Christus in Bronze. Irgendein Detail aus all dem sagte ihm etwas, aber er wusste nicht, welches.
Amien packte ihn heftig am Arm: »Was für eine Spur haben Sie? Der Mord an Schiffer wird Ihnen angelastet werden. Als Polizist sind Sie am Ende. Es sei denn, wir finden das Mädchen und die Geschichte kommt ganz groß raus. Mit Ihnen in der Heldenrolle. Ich wiederhole meine Frage: Was für eine Spur haben Sie?«
»Ich kann die Ermittlungen selber weiterführen«, erklärte Paul.
»Geben Sie mir die Informationen. Danach sehen wir weiter.«
»Ich möchte eine Zusage von Ihnen.«
Amien war angespannt. »Sprechen Sie, in Gottes Namen.«
Paul warf einen letzten Blick auf die Grabmale: die verwitterte Madonnenfigur, den länglichen Christuskopf, das braun-stichige Porträt. Er begriff die Botschaft: Gesichter. Sein einziger Weg, um
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