Das Imperium der Woelfe
Beamte rückte seine Brille zurecht und begann: »Ich vermute, dass der Begriff Taliban Ihnen etwas sagt. Seit dem elften September kommt man an diesen Fundamentalisten ja nicht mehr vorbei. Die Medien haben ständig ihr Leben und ihre Heldentaten heruntergeleiert... Sie haben die Buddhas gesprengt. Und dann diese Machenschaften mit Bin Laden. Ihre abscheuliche Haltung gegenüber Frauen, Kultur und jeglicher Form der Toleranz. Doch eine Tatsache ist kaum bekannt, und sie ist das einzig Positive an ihrem Regime: Diese Barbaren haben erfolgreich die Herstellung von Opium bekämpft. Im letzten Jahr ihrer Herrschaft hatten sie die Mohnproduktion Afghanistans praktisch ausgerottet. Im Jahr 2000 wurden noch 3300 Tonnen Rohopium hergestellt, 2001 nur noch 185 Tonnen. In ihren Augen widersprach der Opiumanbau den Gesetzen des Koran.
Als Mullah Omar die Macht verloren hatte, nahm der Mohnanbau natürlich einen neuen Aufschwung. Die Bauern von Ningarhar erleben zur Stunde, wie die Saat vom letzten November zu blühen beginnt. Bald werden sie mit der Ernte beginnen, Ende April.«
Pauls Aufmerksamkeit nahm erst zu, dann wieder ab, als folge sie einer inneren Wellenbewegung. Der Weinkrampf hatte sein Gemüt empfindsam gemacht, er war in einem hypersensiblen Zustand, bereit, beim kleinsten Anlass in Lachen oder Weinen auszubrechen.
»...doch vor dem Attentat des elften September«, fuhr Amien fort, »erahnte niemand das baldige Ende des Regimes. Und die Drogenhändler knüpften Verbindungen zu anderen Netzen. Insbesondere die türkischen Buyuk-Babas, die >Großväter<, die Heroin nach Europa exportiert hatten, wandten sich anderen Ländern zu, Usbekistan und Tadschikistan. Ich weiß nicht, ob Sie im Bilde sind, doch diese Länder haben dieselben sprachlichen Wurzeln.«
Paul zog wieder die Nase hoch. »Ich habe schon davon gehört.«
Amien nickte zustimmend.
»Früher kauften die Türken das Opium in Afghanistan und Pakistan. Sie verfeinerten das Rohopium im Iran und stellten Heroin in ihren Labors in Anatolien her. Bei der Zusammenarbeit mit den Völkern, die Turk-Sprachen sprechen, müssen sie ihre Vorgehensweise geändert haben. Sie raffinieren das Rohopium jetzt im Kaukasus und produzieren das weiße Pulver im äußersten Osten Anatoliens. Es hat eine Weile gedauert, bis sich diese Netze gebildet haben, und nach dem, was wir wissen, war alles bis zum letzten Jahr noch sehr improvisiert.
Am Ende des Winters 2000/01 haben wir von einem Plan für einen Zusammenschluss gehört: ein Dreierbündnis zwischen der usbekischen Mafia, die riesige Anbauflächen kontrolliert, den russischen, aus der Sowjetarmee hervorgegangenen Clans, die seit Jahrzehnten die Straßen durch den Kaukasus und die Raffinerien in dieser Gegend im Griff haben, und den türkischen Familien, die die Herstellung des eigentlichen Heroins sicherstellen sollten. Wir kennen keine Namen, haben keine genaueren Hinweise, aber ein paar signifikante Details ließen uns ahnen, dass es an der Spitze bald zu einem solchen Zusammenschluss kommen würde.«
Sie betraten einen dunkleren Teil des Friedhofs, schwarze Grüfte, dicht nebeneinander gedrängt, mit dunklen Türen, schrägen Dächern. Dieser Bereich erinnerte an eine Bergarbeitersiedlung unter einem Kohlehimmel. Amien schnalzte mit der Zunge, bevor er fortfuhr: »Die drei Gruppen Krimineller hatten beschlossen, ihre Vereinigung mit einer Pilot-Lieferung zu beginnen. Eine kleine Menge Drogen, die als Testsendung verschickt werden sollte und nur einen symbolischen Wert besaß. Eine Tür in die Zukunft... Bei dieser Gelegenheit wollten alle Partner ihr besonderes Know-how unter Beweis stellen. Die Usbeken steuerten Rohstoff von höchster Qualität bei, die Russen ließen das Rohopium von den besten Chemikern raffinieren, und die Türken am anderen Ende der Kette stellten fast reines Heroin her. Nummer Vier. Ein wahrer Nektar.
Wir vermuten, dass die Türken sich auch um den Export des Produkts gekümmert haben, vor allem um den Transport nach Europa. Sie mussten beweisen, dass sie auf diesem Gebiet zuverlässig sind. Sie haben nämlich neuerdings starke Konkurrenz durch Clans aus Albanien und dem Kosovo, die sich die Wege durch den Balkan gesichert haben.«
Paul begriff immer noch nicht, was diese Geschichten mit ihm zu tun hatten.
»Dies alles passierte Ende des Winters 2001. Wir haben damit gerechnet, dass diese berühmte Lieferung im Frühjahr an unsere Grenzen gelangen würde. Eine einmalige Gelegenheit, das
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