Das Imperium der Woelfe
begraben waren. Unter erkalteter Lava erstarrte Straßen. Hagere Überlebende mit Gesichtern wie Statuen, die in ihren Armen Kinder aus Stein hielten. Vor ihm breitete sich dasselbe Bild aus.
Er duckte sich wieder unter ein gelbes Absperrband, als er ihn plötzlich am Ende des Ganges erblickte: Schiffer hatte wie ein Schweinehund gelebt; und er war wie ein Schweinehund gestorben - in einem letzten Aufbäumen von Gewalt.
Sein vollkommen grauer Körper lag gekrümmt am Boden, das rechte Bein unter seinem Trenchcoat war angewinkelt, die rechte Hand in die Höhe gereckt, abgespreizt wie ein Hahnenfuß. Die Reste seines Schädels schwammen in einer Blutlache, als wäre einer seiner düstersten Träume in seinem Kopf explodiert.
Am schlimmsten war das Gesicht. Selbst der Staub, der darüber lag, konnte die grausamen Verletzungen nicht verbergen. Ein Auge war herausgerissen - oder besser: herausgeschnitten mitsamt der Augenhöhle. Hals, Stirn und Wangen waren von Schnitten zerfetzt. Einer, tiefer und länger als die Übrigen, hatte das Zahnfleisch bis zu der Verletzung an der Augenhöhle freigelegt. Der Mund zeigte eine grässliche Starre und war voll mit rosa und silbern schimmerndem Lehm.
Paul, dem speiübel wurde, riss seine Maske herunter. Doch sein Magen war vollkommen leer, und in seiner Verkrampfung drangen nur Fragen hervor, die er bislang zurückgehalten hatte: Warum war Schiffer hierher gekommen? Wer hatte ihn getötet? Und wer war zu einer solchen Barbarei fähig gewesen?
Er fiel auf die Knie und brach in Schluchzen aus, die Tränen liefen ihm hinunter, ohne dass er daran dachte, sie zurückzuhalten oder den Schlammfilm, der sich auf seinen Wangen bildete, wegzuwischen.
Er weinte nicht um Schiffer. Er weinte auch nicht um die ermordeten Frauen. Und auch nicht um die Frau, die irgendwo auf der Flucht war. Er weinte seinetwegen, wegen seiner Einsamkeit und wegen der Sackgasse, in die er sich begeben hatte.
»Es wäre Zeit, dass wir reden, oder?«
Paul wandte sich um.
Ein Mann mit Brille, den er noch nie gesehen hatte, der keine Maske trug und dessen längliches Gesicht, vom Staub bläulich verfärbt, wie ein Stalaktit wirkte, lächelte ihn an.
Kapitel 62
»Sie haben also Schiffer wieder aktiviert?«
Die Stimme war hell, kräftig, beinahe heiter und passte zum Blau des Himmels.
Paul schüttelte den Staub von seinem Parka und zog die Nase hoch - er hatte so etwas wie Haltung wieder gefunden.
»Ja, ich brauchte seinen Rat.«
»Was für eine Art von Rat?«
»Ich ermittele in einer Mordserie im türkischen Viertel von Paris.«
»Haben Ihre Vorgesetzten Ihre Vorgehensweise gebilligt?«
»Sie kennen die Antwort.«
Der Mann mit der Brille nickte. Groß zu sein genügte ihm nicht. Sein ganzes Verhalten drückte Wichtigkeit aus. Er trug den Kopf hoch erhoben und hatte ein vorspringendes Kinn, seine freie Stirn wurde durch graue Locken betont. Ein leitender Beamter in den besten Jahren mit dem Profil eines Spürhundes.
Paul ging der Sache auf den Grund: »Sind Sie von der Dienstaufsicht?«
»Nein. Olivier Amien, Abteilung für internationale Drogenkriminalität. «
Als er noch bei dieser Behörde gearbeitet hatte, war Paul der Name oft zu Ohren gekommen. Amien galt als Papst des französischen Antidrogenkampfes. Ein Mann, der im Inland für den Kampf gegen Drogen verantwortlich war und zugleich die internationale Behörde für die Bekämpfung der Drogenkriminalität leitete.
Sie wandten sich vom Columbarium ab und betraten eine Allee, die wie eine gepflasterte Gasse aus dem neunzehnten Jahrhundert aussah. Paul sah Totengräber, die an einem Grabmahl lehnten und Zigaretten rauchten. Sie unterhielten sich bestimmt über die unglaubliche Entdeckung vom Morgen.
Amien begann wieder zu sprechen, diesmal in viel sagendem Ton: »Sie haben selbst bei der Drogenbekämpfung gearbeitet, glaube ich... «
»Ja, ein paar Jahre.«
»Welche Zuständigkeiten?«
»Nur kleine Sachen. Vor allem Cannabis. Die Netze in Nordafrika.«
»Haben Sie jemals mit dem Goldenen Horn zu tun gehabt?«
Paul wischte sich mit dem Handrücken über die Nase.
»Wenn Sie gleich zum Ziel kämen, würden wir beide viel Zeit sparen.«
Amien, auf den die Sonne schien, lächelte geziert.
»Ich hoffe, Sie haben keine Angst vor einem kleinen Vortrag in Gegenwartsgeschichte... «
Paul dachte an die Namen und Daten, die er seit dem Morgen schon hatte schlucken müssen. »Bitte sehr. Ich nehme am Nachhilfeunterricht teil.«
Der hohe
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