Das Imperium der Woelfe
sie. »Wer ist für die Operation mitverantwortlich?«
»Wir kennen nie den Namen, das ist Vorschrift.«
»Es gibt keine Vorschriften mehr. Meine Flucht hat alles durcheinander gebracht. Sie müssen gekommen sein, um dich auszufragen. Es müssen Namen gefallen sein. Wer hat die Sendung in Auftrag gegeben?«
Kürsat zögert. Der Regen klopft auf seine Kapuze, rinnt ihm über das Gesicht.
»Ismail Kudseyi.«
Der Name trifft ihr Gedächtnis wie ein Hieb. Kudseyi, der absolute Herr. Doch sie gibt vor, sich nicht zu erinnern.
»Wer ist das?«
»Ich kann nicht glauben, dass du so durchgeknallt bist.«
»Wer ist das?«, fragt sie erneut.
»Der wichtigste Baba von Istanbul.« Er senkt die Stimme, als passe er sich dem Klang des Regens an. »Er bereitet ein Bündnis mit den Usbeken und Russen vor. Die Lieferung war eine Versuchssendung. Ein Test. Ein Symbol, das mit dir verschwunden ist.«
Sie lächelt durch das Kristall der Tropfen hindurch. »Zwischen den Partnern muss ja nun äußerste Hochstimmung herrschen. «
»Ein Krieg steht kurz bevor. Doch Kudseyi schert sich nicht darum, ihn interessiert nur eins: du. Und er will dich finden. Es ist keine Frage des Geldes, sondern eine Frage der Ehre. Er erträgt es nicht, dass eine von den Seinen ihn betrogen hat. Wir sind seine Wölfe, seine Geschöpfe.«
»Seine Geschöpfe?«
»Die Werkzeuge der guten Sache. Wir sind von den Wölfen ausgebildet, erzogen, indoktriniert worden. Bei deiner Geburt warst du nichts. Nichts als ein Bauernmädchen, dazu bestimmt, Schafe zu züchten. Wie ich. Wie die anderen. Wir verdanken der Gruppe alles. Unseren Glauben, unsere Fähigkeiten, unser Wissen.«
Sema sollte auf das Wesentliche zu sprechen kommen, doch sie möchte noch andere Dinge, andere Einzelheiten erfahren: »Warum sprechen wir Französisch?«
Eine stolzes Lächeln zeigt sich auf Kürsats rundlichem Gesicht: »Wir sind auserwählt worden. In den achtziger Jahren wollten die >Rei's<, die Chefs, eine geheime Armee aus Offizieren und Elitepersonen schaffen. Wölfe, die in der Lage sein sollten, in die höchsten Kreise der türkischen Gesellschaft vorzudringen.«
»War das ein Plan von Kudseyi?«
»Ein Projekt, das er angestoßen hat, dem aber alle zustimmten. Gesandte seiner Stiftung haben die Gruppen in Zentralanatolien besucht. Sie haben nach den begabtesten, aussichtsreichsten Kindern gesucht. Ihre Idee war, ihnen eine Schulausbildung von höchstem Niveau zu geben. Ein patriotisches Vorhaben: Wissen und Macht sollten die wahren Türken erhalten, die Kinder Anatoliens, nicht die bourgeoisen Bastarde aus Istanbul.«
»Und wir wurden ausgewählt?«
Der hochmütige Ton wird deutlicher: »Wir kamen mit wenigen anderen in das Gymnasium von Galatasaray, mithilfe von Stipendien der Stiftung. Wie kannst du das alles nur vergessen haben?«
Da Sema nicht antwortet, fährt Kürsat mit zunehmend erregter Stimme fort: »Wir waren zwölf Jahre alt. Wir waren in unserer Region schon kleine >baskans<, Anführer. Zuerst haben wir ein Jahr im Trainingslager verbracht. Als wir nach Galatasaray kamen, wussten wir schon, wie man mit einem Sturmgewehr umgeht. Wir kannten ganze Passagen aus den Neun Lichtern auswendig. Plötzlich waren wir von Dekadenten umgeben, die Rockmusik hörten, Cannabis rauchten, die Europäer nachmachten.
Hurensöhne, Kommunisten... Da sind wir beide eng zusammengerückt, Sema. Wie Bruder und Schwester. Die beiden Bauernkinder aus Anatolien, die beiden Hungerleider mit ihrem ärmlichen Stipendium... Aber niemand wusste, wie gefährlich wir waren. Wir waren schon Wölfe. Kämpfer. Wir waren in eine Welt eingedrungen, in die wir nicht hinein durften. Um besser gegen die roten Schweine zu kämpfen! Tanri türk'ü korusun! Gott schütze die Türken!«
Kürsat hat die Faust erhoben, Zeigefinger und kleinen Finger emporgereckt. Er bemüht sich sehr, wie ein Fanatiker zu wirken, doch er sieht eher aus wie das, was er immer geblieben ist, ein sanftes, ungeschicktes Kind, zu Gewalttätigkeit und Hass erzogen.
Sie fragt ihn weiter aus, reglos dastehend zwischen Bambusstöcken und Blattwerk: »Was ist danach passiert?«
»Ich habe Naturwissenschaften studiert. Du warst an der Universität von Bogazici, um Sprachen zu studieren. Ende der achtziger Jahre haben sich die Wölfe auf dem Drogenmarkt breit gemacht. Sie brauchten Spezialisten. Unsere Rollen waren längst festgelegt. Chemie für mich, Kurierdienste für dich. Und es gab noch andere Wölfe, die eingeschleust
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