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Das Imperium der Woelfe

Das Imperium der Woelfe

Titel: Das Imperium der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Fakultät untergebracht. Ein Haus mit sechs Stockwerken und Hunderten von Fenstern mit einer überwältigenden Zahl von Forschungslabors.
    Dieser typische Sechziger-Jahre-Bau erinnerte Mathilde an die Universitäten und Krankenhäuser, an denen sie studiert und ihre Ausbildung absolviert hatte. Sie besaß ein besonders feines Gespür für Orte, und mit dieser Architektur assoziierte sie Wissen, Autorität und Erkenntnis.
    Sie gingen auf das Portal zu, ihre Schritte hallten auf dem silbern schimmernden Bürgersteig. Mathilde gab den Code für die Eingangstür ein. Drinnen empfingen sie Dunkelheit und Kälte. Sie durchquerten eine riesige Halle und betraten links einen Aufzug aus Stahl, der an einen Tresor erinnerte.
    Die Fahrt mit dem Lift dauerte ewig. Anna zündete sich eine Zigarette an. Mathildes Sinne waren so geschärft, dass sie das Knistern des brennenden Papiers zu hören glaubte. Sie hatte ihrem Schützling Kleider ihrer Tochter gegeben, die nach einer Neujahrsparty bei ihr liegen geblieben waren. Beide Frauen hatten dieselbe Größe und liebten denselben Farbton: Schwarz.
    Anna trug jetzt einen taillierten Samtmantel mit langen, eng geschnittenen Ärmeln, eine Schlaghose aus Seide und Lackschuhe. Mit dieser Abendgarderobe sah sie aus wie ein kleines Mädchen in Trauerkleidern.
    Im fünften Stock öffneten sich endlich die Türen. Sie durchquerten einen mit roten Kacheln bedeckten Flur, vorbei an Türen mit matten Glasscheiben. Am Ende des Korridors schien schwaches Licht. Sie kamen näher.
    Ohne zu klopfen, öffnete Mathilde die Tür. Professor Alain Veynerdi, ein klein gewachsener, rüstiger Sechzigjähriger, dessen Gesichtshaut dunkel wie die eines Hindu und trocken wie Papyrus war, erwartete sie bereits. Er stand neben einem weißen Strohsack, unter seinem blütenweißen Kittel konnte man einen überaus perfekt sitzenden Straßenanzug erahnen. Er hatte manikürte Hände, seine Nägel schienen heller als die Haut, kleine perlmuttfarbene Flächen oberhalb der Fingergelenke, und sein graues Haar war sorgfältig mit Gel nach hinten gekämmt. Er erinnerte an eine Figur aus Tim und Struppi. Seine Fliege leuchtete wie der Schlüssel eines verborgenen Mechanismus, bereit, aufgezogen zu werden.
    Mathilde stellte sich und Anna vor und erzählte dieselben Lügen, die sie dem Biologen bereits am Telefon aufgetischt hatte. Anna habe vor acht Monaten einen Autounfall gehabt. Ihr Auto sei völlig ausgebrannt, ihre Papiere vernichtet. Ihre Gesichtsverletzungen hätten einen großen chirurgischen Eingriff erfordert. Daher sei ihre Herkunft ein großes Geheimnis.
    Die Geschichte hörte sich wenig glaubhaft an, doch Veynerdi war kein Mensch, der in rationalen Kategorien dachte. Ihn interessierte an Annas Fall allein die wissenschaftliche Herausforderung.
    Er wies auf einen Tisch aus rostfreiem Stahl: »Wir fangen gleich an.«
    »Warten Sie«, protestierte Anna. »Es ist vielleicht an der Zeit, mir mitzuteilen, worum es hier geht, oder?«
    Mathilde sagte zu Veynerdi: »Professor, erklären Sie es ihr.«
    Er wandte sich der jungen Frau zu: »Ich fürchte, es geht nicht ohne eine kleine Anatomievorlesung... «
    »Seien Sie nicht so herablassend.«
    Er zeigte ein kurzes Lächeln, säuerlich wie eine Zitronenschale.
    »Die Elemente, aus denen sich der menschliche Körper zusammensetzt, regenerieren sich nach bestimmen Zyklen. Die roten Blutkörperchen haben eine Lebenszeit von hundertzwanzig Tagen. Die Haut erneuert sich in fünf Tagen, die Darmschleimhaut in nur achtundvierzig Stunden. Es gibt aber neben dieser fortwährenden Erneuerung im Immunsystem auch Zellen, die Spuren des Kontakts mit Elementen von außen sehr lange bewahren. Diese heißen Gedächtniszellen.«
    Er hatte eine Raucherstimme, tief und heiser, die nicht zu seiner gepflegten Erscheinung passte: »Wenn sie mit Krankheiten in Berührung kommen, erzeugen diese Zellen Moleküle zur Abwehr oder Wiedererkennung, die das Kennzeichen des Angreifers präsentieren. Wenn sie sich erneuern, geben sie dieses Signal als Schutz weiter. Eine Art biologischer Erinnerung, wenn Sie so wollen. Das Impfprinzip beruht auf diesem System. Man muss den Körper des Menschen nur einmal mit dem Krankheitserreger in Berührung bringen, und schon produzieren die Zellen jahrelang Abwehrmoleküle. Was für Krankheiten gilt, das gilt auch für jedes andere Element, das von außen kommt. Wir behalten immer die Prägungen unseres früheren Lebens, der unzähligen Berührungen mit der

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