Das Imperium der Woelfe
Soldaten. Sie sind in einer schwarzen Limousine weggefahren. Der Türke kann sich weder an das Nummernschild noch an die Automarke erinnern. Oder er will sich nicht erinnern.«
»Warum ist er sicher, dass es die Grauen Wölfe waren?«
»Sie haben Slogans gebrüllt. Sie haben bestimmte Erkennungszeichen. Da gibt es keinen Zweifel. Außerdem passt es zum Rest. Dem Schweigen der ganzen Gemeinde. Gozars Hinweis auf eine >politische Sache<. Die Grauen Wölfe sind in Paris. Und das Viertel stirbt vor Angst.«
Paul konnte diese so neuen, so unerwarteten Erkenntnisse, die mit seiner eigenen Deutung des Geschehens so wenig zu tun hatten, nicht akzeptieren. Lange Zeit war er einem Einzeltäter auf der Spur gewesen. Er fragte schroff: »Wozu dann diese Gewalt?«
Schiffer folgte immer noch den im Nieselregen leuchtenden Schienen: »Sie kommen von weither. Aus Ebenen, Wüsten, Bergen, wo diese Art Folter die Regel ist. Du bist von der Hypothese ausgegangen, dass es sich um einen Serienmörder handelt. Du und Scarbon, ihr habt geglaubt, ihr könntet in den Verletzungen der Opfer Spuren des Leidens finden, irgendetwas Traumatisches - oder ich weiß nicht was. Aber ihr habt die einfachste Lösung vergessen: Diese Frauen wurden von Profis gefoltert. Von Experten, die in anatolischen Lagern ausgebildet worden sind.«
»Und die Verstümmelungen nach dem Tod? Die zerfetzten Gesichter?«
Chiffre machte eine desillusionierte Geste, keine Grausamkeit konnte ihn überraschen: »Vielleicht ist einer der Typen abgedrehter als die anderen. Oder sie wollen bloß, dass die Opfer nicht identifizierbar sind, dass man das Gesicht, nach dem sie suchen, nicht erkennen kann.«
»Das sie suchen?«
Der Polizist blieb stehen und wandte sich zu Paul um: »Du hast nicht kapiert, was hier abgeht, mein Junge: Die Grauen Wölfe haben einen Vertrag. Sie suchen eine Frau.«
Er kramte in seinem blutbefleckten Trenchcoat und hielt seinem Partner die Polaroidfotos vor die Nase: »Sie suchen eine Frau mit diesem Gesicht, mit diesen Merkmalen - rothaarig, Näherin, illegal, aus Gaziantep stammend.«
Stumm studierte Paul die Bilder in der runzeligen Hand, ihm ging ein Licht auf, alles passte zusammen.
»Eine Frau, die etwas weiß und deren Aussage sie haben müssen. Drei Mal haben sie schon geglaubt, sie hätten sie. Drei Mal haben sie sich getäuscht.«
»Warum sind Sie so sicher? Woher sollen wir wissen, dass sie sie nicht gefunden haben?«
»Wenn eine von ihnen die Richtige gewesen wäre, dann hätte sie geredet. Glaub mir. Und sie wären verschwunden.«
»Glauben Sie, die Jagd geht weiter?«
»Das kann man wohl sagen.«
Die Iris in Schiffers Augen leuchtete unter den halb geschlossenen Lidern. Paul musste an Silberkugeln denken, nur sie sind in der Lage, Werwölfe zu töten.
»Du hast dich geirrt, Kleiner. Du hast nach einem Mörder gesucht. Du hast wegen der Toten Tränen vergossen. Dabei musst du eine Frau finden, die noch lebt. Die Frau, die die Grauen Wölfe verfolgen.«
Er machte eine Handbewegung in Richtung der Gebäude, die die Gleise umgaben: »Sie ist irgendwo dort, in diesem Viertel. In den Kellern, auf den Dachböden. In einer besetzten Wohnung oder einem Wohnheim. Sie wird von den schlimmsten Mördern verfolgt, die du dir vorstellen kannst, und du bist der Einzige, der sie retten kann. Aber du musst schnell sein. Sehr, sehr schnell. Weil die Schweine auf der anderen Seite gut trainiert sind und in diesem Viertel alles machen können.«
Chiffre packte Paul an beiden Schultern und sah ihn eindringlich an: »Und da ein Unglück selten allein kommt, präsentiere ich dir ein zweites: Ich bin dein einziger Schlüssel zum Erfolg.«
sieben
Kapitel 38
Das Klingeln des Telefons hämmerte auf sein Trommelfell ein.
»Ja, bitte?«
Keine Antwort. Mit einer langsamen Bewegung legte Eric Ackermann den Hörer auf die Gabel und blickte auf das Ziffernblatt seiner Armbanduhr: kurz nach drei. Immerhin der zwölfte anonyme Anruf seit gestern. Zum letzten Mal hatte er am vorletzten Morgen eine menschliche Stimme gehört, als ihn Laurent Heymes anrief, um ihn über Annas Flucht zu informieren. Als er ihn am Nachmittag zurückrufen wollte, ging bei den verschiedenen Nummern niemand ans Telefon. War es etwa schon zu spät für Laurent?
Er hatte versucht, auf anderem Wege Kontakt aufzunehmen - vergeblich.
Am Abend hatte er den ersten anonymen Anruf erhalten. Er hatte gleich aus dem Fenster gesehen: Zwei Polizisten
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