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Das Imperium der Woelfe

Das Imperium der Woelfe

Titel: Das Imperium der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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bewachten sein Wohnhaus in der Avenue Trudaine. Die Situation war klar. Niemand rief ihn mehr an, keiner sah in ihm mehr den Partner, den man auf dem Laufenden hält. Er war der, den man überwacht, ein Freund, den man kontrolliert. In wenigen Stunden hatte sich eine Grenze verschoben, und er befand sich nunmehr auf der falschen Seite der Grenzlinie, auf der Seite derer, die für das Desaster verantwortlich sind.
    Er stand auf und trat an sein Schlafzimmerfenster. Die beiden Bullen schoben immer noch Wache vor dem Gymnasium Jacques-Decourt. Er betrachtete die Rasenflächen auf dem Mittelstreifen der Avenue, die Platanen, die sich noch unbelaubt in die sonnige Luft erhoben, die grauen Bauteile des Kiosks am Square d'Anvers. Kein einziges Auto fuhr vorbei, wie immer erinnerte die Straße an eine vergessene Wegstrecke.
    Ein Zitat ging ihm durch den Kopf: »Bei konkreter Gefahr ist die Not körperlich, bei instinktiv wahrgenommener ist sie seelisch.« Wer hatte das geschrieben? Freud? Jung? Und wie würde die Gefahr bei ihm spürbar werden? Würde man ihn auf der Straße umbringen? Im Schlaf überraschen? Oder würde man ihn foltern, um an die Dokumente über das Programm heranzukommen?
    Warten. Er musste bis zum Abend warten, um seinen Plan durchzuführen. Noch immer stand er am Fenster, langsam verfolgte sein Geist den Weg zurück, der ihn hierher, ins Vorzimmer des Todes, geführt hatte.
    Alles hatte mit der Angst begonnen.
    Alles würde mit ihr zu Ende gehen.
     
    Seine Odyssee hatte im Juni 1985 ihren Anfang genommen, als er Mitglied der Forschergruppe von Professor Wayne C. Drevets von der Washington University in Saint-Louis im Staat Missouri geworden war. Die Forscher dieser Gruppe hatten sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Sie wollten mithilfe der Positronen-emissions-Tomografie das für die Angst zuständige Gehirnareal lokalisieren. Um dieses Ziel zu erreichen, hatten sie einen sehr genauen Versuchsplan aufgestellt, mit dem bei freiwilligen Versuchspersonen extreme Angstzustände erzeugt wurden. Das Erscheinen von Schlangen, die Ankündigung eines elektrischen Stromschlags, der umso stärker sein würde, je länger er auf sich warten ließ...
    Nach verschiedenen Testreihen hatten sie den geheimnisvollen Bereich ausfindig gemacht. Er lag im Temporallappen, am äußersten Rand des limbischen Systems in einer kleinen Zone namens Amygdala, einer Art Nische, die unserem Archä-ogehirn entspricht. Der älteste Teil unseres Gehirns, das der Mensch mit den Reptilien gemein hat und in dem auch der Sexual- und Aggressionstrieb angesiedelt sind.
    Ackermann erinnerte sich an diese erhebenden Momente. Zum ersten Mal konnte ein Mensch auf einem Bildschirm jene Hirnzonen wahrnehmen, die im Zustand der Verängstigung aktiviert werden. Zum ersten Mal sah er, wie das Denken sich vollzog, ein erstaunlicher Vorgang in geheimen Räderwerken. Er wusste es, er hatte Weg und Hafen zugleich gefunden, und der Positronenemissions-Tomograf würde sein Fahrzeug sein auf der Reise in das Großhirn des Menschen. Er würde einer der Pioniere bei der Kartografie des Gehirns werden.
    Als er nach Frankreich zurückkehrte, hatte er bei den wichtigsten Institutionen, Universitäten und Krankenhäusern von Paris Forschungsmittel beantragt und so seine Chancen vergrößert, genügend Geld zusammenzubekommen. Nach einem Jahr war er immer noch ohne Antwort. Daraufhin ging er nach Großbritannien und arbeitete als Forscher bei Anthony Jones an der Universität von Manchester. In dieser neuen Gruppe steuerte er auf eine andere Hirnregion zu, die des Schmerzes.
    Wieder wirkte er bei Untersuchungsreihen an Personen mit, die bereit waren, Schmerzstimuli zu ertragen. Wieder sah er auf dem Monitor, wie sich eine bisher unbekannte Region belebte: das Land des Leidens. Es handelte sich dabei nicht um eine einzige Stelle, sondern um eine Menge von Punkten, die sich gleichzeitig aktivierten, eine Art Netz, das die gesamte Großhirnrinde durchzog.
    Ein Jahr später schrieb Professor Jones in der Zeitschrift Science: »Nach der Verschattung des Schmerzsignals im Thalamus wird das Schmerzempfinden an das Cingulum und den Frontalkortex weitergeleitet, wo es zu empfundenem Leid verarbeitet wird.«
    Diese Tatsache war von grundlegender Bedeutung, denn sie bestätigte die wichtige Rolle der Reflexion bei der Schmerzwahrnehmung. In dem Maß, in dem das Cingulum als Selektierer von Assoziationen fungiert, konnte man das Schmerzgefühl dank einer Reihe rein

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