Das Implantat: Roman (German Edition)
Richtung Innenstadt, wo der nächste Halt der Protestkundgebung liegt. Zurück bleiben zertretener Rasen, zerknitterte Flyer und kleine Sternenbanner.
Der Müll von Patrioten.
Ich bleibe im feuchten Gras sitzen und lasse noch eine Viertelstunde die betäubende Stille auf mich wirken. Bald hat auch der letzte Zuschauer den Rasen vor dem Universitätseingang geräumt. Selbst mein freundlicher Leibwächter mit dem seltsamen kleinen Tattoo auf der Hand ist davonspaziert. Jetzt steht da nur noch die Bühne, von der das Podium aufragt wie ein Grabstein.
Neugierig steige ich auf die brusthohe Plattform und stelle mich ans Podium. Während ich den Blick über das im Schatten des Universitätsgebäudes liegende Grün schweifen lasse, versuche ich, das Gefühl der Macht nachzuempfinden, das Vaughn in sich spürte, als er hier gestanden hat.
Doch ich spüre kein Gefühl der Macht, sondern nur eins der Leere.
Es ist nur ein paar Minuten her, da hat mein Feind hiergestanden und Menschen wie mir den Krieg erklärt. Er scheint eine sehr genaue Vorstellung davon zu haben, wie die Welt aussehen sollte. Und jetzt, mit der Unterstützung der Nation im Rücken, werden er und seine Anhänger es wohl kaum bei reinen Worten belassen.
Auf dem Podium liegt noch ein einzelnes Blatt Papier. Wohl die letzte, leere Seite der Rede, die der Senator gehalten hat. Ich lege die Hand darauf, damit der Wind sie nicht fortweht.
Der Briefkopf trägt ein offiziell aussehendes Siegel mit dem Bild eines kleinen Mädchens in der Mitte, das mit seinen blanken Schläfen fröhlich den Betrachter anlächelt. Um das reliefartige Porträt windet sich ein Banner mit den Worten
Pure Human Citizen’s Council,
und auch unmittelbar unter dem Gesicht des Kindes ist ein Wort eingestanzt.
Elysium
lese ich und sehe, dass der erste und der letzte Buchstabe des Wortes jeweils größer gedruckt ist, was mir irgendwie vertraut vorkommt.
Natürlich, ich habe gerade erst ein Tattoo gesehen, das aus diesen zwei Buchstaben bestand:
EM
.
The Pittsburgh Post-Gazette
Bundesagenten beschlagnahmen Forschungsausrüstungen
*** Eilmeldung ***
PITTSBURGH – Die Implantatträger des Landes mussten heute Morgen einen weiteren Rückschlag hinnehmen, als das FBI damit beauftragt wurde, in Pittsburgh wie auch im Rest des Landes die Forschungsausrüstung und wissenschaftlichen Dokumente staatlich finanzierter Labors zu beschlagnahmen.
Die Beschlagnahmungen sind Teil einer laufenden Untersuchung zu Ethikfragen, die durch die Ankündigung der Regierung, Bürger mit Implantaten nicht als besonders gegen Diskriminierung geschützte Gruppe einzustufen, neue Dringlichkeit erhalten hat. In der Folge hat der Bundesforschungsausschuss sämtliche staatlich geförderten Forschungsprojekte, die mit neuronalen Implantaten in Zusammenhang stehen, mit einem Moratorium belegt und angekündigt, mit staatlichen Geldern finanziertes Forschungsgerät einzuziehen.
Das FBI geht davon aus, dass die erste Reihe von Beschlagnahmungen reibungslos verlaufen wird. Bereits seit vergangenem Juli erhalten nur noch solche Forschungsprojekte staatliche Förderung, die der Heilung ernsthafter neurologischer Erkrankungen wie refraktärer Epilepsie oder Parkinson dienen.
»Normalerweise planen wir die Dinge lieber etwas genauer, aber unsere Anweisung lautet, umgehend zur Tat zu schreiten«, sagte Tanner Blanton, Leiter des im Pittsburgher Viertel South Side gelegenen FBI -Büros. »Eine strafrechtliche Ermittlung wurde bisher nicht eingeleitet, doch eine genaue Untersuchung des beschlagnahmten Materials wird zeigen, ob die öffentlichen Mittel in Übereinstimmung mit den vorgegebenen Richtlinien verwendet wurden oder nicht.«
3
Ein kleines Extra
A uf irgendeiner Ebene meines Bewusstseins hatte ich den weißen Lieferwagen bestimmt bemerkt, der vor der Praxis meines Vaters stand. Aber was er zu bedeuten hatte, geht mir erst ungefähr eine halbe Stunde später auf – unmittelbar nach der Explosion.
Ich stehe vor der Praxis meines Vaters in der Sonne. Die Praxis ist ein Ableger der zwei Blocks entfernt liegenden Medizinischen Fakultät der Universität von Pittsburgh, wo der Neuronale Autofokus erfunden wurde. Vaughns Rede ist vorbei, aber ich kann immer noch die begeisterten Rufe seiner Anhänger hören, die sich nicht weit von hier vor dem Eingang des Fakultätsgebäudes versammelt haben.
Mein Vater öffnet die Tür. Ich setze an, um ihm von den Geschehnissen des Morgens zu
Weitere Kostenlose Bücher