Das Implantat: Roman (German Edition)
Cortex.
»Du bist ein Amp«, sagt er.
Mein Vater beobachtet, wie ich die Worte aufnehme, und fleht mit den Augen um Vergebung. Aber diese neue Wahrheit schockiert mich viel zu sehr, als dass ich sie einfach so schlucken könnte. Ich habe das Gefühl, der Boden wankt unter meinem Stuhl.
»Ich bin kein medizinischer Fall?«, frage ich.
Die Lippen meines Vaters zucken unkontrolliert, und mir wird klar, dass er den Tränen nahe ist. »Du warst so schwer verletzt, Owen«, erwidert er leise. »Mein lieber Junge. Bei dem Sturz von dem Truck wurdest du viel schwerer verletzt, als du ahnst. Schwerer, als ich je habe durchscheinen lassen.«
»Aber du hast gesagt, du hättest mir einen simplen Hirnstimulator eingesetzt. Dass ich nicht wie die Kinder bin, die sich so einer Operation freiwillig unterziehen. Dass ich kein Amp bin.« Ich murmle die Worte wie ein Beschwörung. Wie ein Gebet. »Du hast mir gesagt, ich sei
normal.
«
»Um die Verletzung zu heilen, habe ich schlichtweg jedes Mittel benutzt, das mir zur Verfügung stand, bitte versteh das. Du musstest nichts davon wissen. So ein Stigma ist schrecklich für Kinder. Du hast die Leute doch gehört, die da draußen demonstrieren. Ich wollte, dass du normal aufwächst.«
»Also hast du mich angelogen.«
»Erst wenn du mal eigene Kinder hast, wirst du begreifen können, wie sehr ich dich liebe«, entgegnet er tonlos.
»Bin ich überhaupt Epileptiker?«
»Ja, das bist du. Aber die Hardware, die ich dir eingesetzt habe, ist etwas Besonderes. Sie tut viel mehr, als bloß Anfälle zu verhindern. Die Verletzungen an deinem Gehirn waren … enorm. Das musste das Implantat während des Heilungsprozesses ausgleichen. Es ist ein Teil von dir geworden, Owen.«
Da ist noch etwas anderes. Etwas noch Schlimmeres. Das erkenne ich an dem schuldbewussten Zucken, das durch die Schultern meines Vaters fährt. »Aber ein Neuronaler Autofokus ist dazu gar nicht in der Lage«, werfe ich ein.
Er sieht mir in die Augen und antwortet, ohne zu zögern. »Ich habe dir ein kleines Extra eingebaut.«
Ich presse meine Handballen so fest gegen meine Augen, dass ich bunte Flecken sehe. Mein ganzes Leben lang bin ich mit einem Kopf voller Lügen herumgelaufen. Dieses Ding, das mir mein Vater ins Hirn gepflanzt hat, hält nicht nur meine Epilepsie in Schach. Es beschleunigt auch mein Denken, schärft meinen Intellekt, schmuggelt sich in jeden Gedanken, den ich habe.
In jeden Gedanken, den ich jemals hatte.
Für einen kurzen Moment beneide ich Samantha Blex. Wenigstens hat sie sich immer so gesehen, wie sie war. Hat mein Vater mit dem Implantat, das er mir in meinen jungen Schädel gesetzt hat, den Menschen, der ich in Wahrheit bin oder hätte sein können, nicht ausgelöscht?
»Alles ist so schnell außer Kontrolle geraten«, fährt mein Vater fort. »Wie aus dem Nichts ist plötzlich Joe Vaughn mit seinem komischen Bürgerrat aufgetaucht. Man darf nie unterschätzen, wie viel Angst die Menschen vor dem Neuen haben.«
»Ich muss nachdenken«, sage ich.
»Du hast keine
Zeit
zum Nachdenken«, erwidert er. »Die Behörden haben jetzt meine Unterlagen. Gewisse Dinge ließen sich nicht verschleiern. Die Anforderung von Bauteilen, die Benutzung des Labors. Sobald sie herausfinden, was ich getan habe, werden sie mich festnehmen. Und danach werden sie zu dir kommen. Wegen dem, was du da in deinem Kopf hast. Wahrscheinlich sind sie schon auf dem Weg.«
Ich berühre die Buchse an meiner Schläfe und stupse wie zwanghaft mit meiner Fingerspitze dagegen. »Was hast du mit mir gemacht?«
»Die Hardware, die ich dir eingesetzt habe, war gestohlen«, erklärt er. »Zu jener Zeit blieb mir keine andere Wahl. Keins der üblichen Geräte wäre stark genug gewesen, um den Schaden auszugleichen.«
»Das ist doch Wahnsinn …«
»Du musst sofort gehen. Zum Seiteneingang hinaus. Die Polizei sucht wegen des Todes deiner Schülerin nach dir. Lass dich auf keinen Fall auf ein Gespräch mit den Beamten ein. Versuch, dein Bankkonto aufzulösen.«
Er beginnt, hastig Notizen auf einen Zettel zu schreiben. »Hör mir gut zu, Owen. Pack deine Sachen und geh nach Westen, an einen Ort namens Eden. Das ist eine Wohnwagensiedlung im Osten Oklahomas«, sagt er und reicht mir den Zettel.
Ich stehe auf und öffne die Tür. »Eine Wohnwagensiedlung?«, frage ich.
»In Eden hat alles angefangen: Dort wurde das Uplift-Programm aus der Taufe gehoben. Wir haben die Siedlung als Versuchsort für den Autofokus ausgewählt,
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