Das Implantat: Roman (German Edition)
Sekretärin erzählt mir, dass sämtliche Amps – Entschuldigung, sämtliche Implantatträger – ab sofort unbezahlten Urlaub haben. Außerdem habe die Polizei noch mal angerufen, um mit mir zu sprechen.
»He, du, zeig uns doch mal deine Schläfe«, ruft ein pummeliger Typ, der mit seinem Kumpel ein paar Tische weiter sitzt. Beide tragen weiße Overalls, haben Malermützen auf den Köpfen und halten halb gegessene Burger in ihren mit Farbspritzern bedeckten Händen.
Ich beachte den Mann nicht und drücke die Auflegetaste. Dann rufe ich meine Freunde an, einen nach dem anderen. Keiner von ihnen hebt ab. Haben wohl alle viel zu tun heute Morgen.
»Was ist? Hast du mich nicht gehört, Kumpel?«, fragt der Maler.
Es sind die Joseph Vaughns dieser Welt, die gewöhnlichen Menschen die Erlaubnis gegeben haben, sich so zu verhalten. Die bei ihren Fernsehauftritten die Leute so oft angestachelt haben, bis dieser Wahnsinn zu etwas ganz Normalem geworden ist. Der Typ in den Arbeitsklamotten da drüben ist mit Sicherheit kein Monster, hat wahrscheinlich Frau und Kinder, und …
»Hey!«, ruft er.
Mit quietschenden Sohlen kommt der Kassierer herübergelaufen. Er legt mir die Hand auf die Schulter. »Wir wollen keinen Ärger. Es ist besser, wenn Sie gehen«, sagt er leise.
»Ich gehe, wenn ich Lust dazu habe«, erwidere ich.
»Zeig mal deine Schläfe, Kumpel«, fordert der Maler mich wieder auf.
Ich tue so, als wäre ich mit meinem Handy beschäftigt. Das alles war seit Jahren vorauszusehen, doch obwohl ich sozusagen einen Platz in der ersten Reihe hatte, habe ich die Augen davor verschlossen. Samantha zog von einem Gericht zum nächsten, auf der Suche nach irgendeiner Form der Existenzberechtigung, aber je schlimmer sich die Sache entwickelte, umso mehr tat ich so, als ginge mich das alles nichts an. Nun, jetzt geht es mich etwas an.
»Bist du ein verdammter Amp oder was?«, fragt der Maler mit lauter Stimme.
Der Kassierer stemmt die Hand in die Hüfte und weist mit dem Kopf Richtung Tür.
Ich stehe auf und gehe.
Mein Freund Dwayne lebt nur ein paar Minuten von hier. Wir kennen uns schon lange, und ich weiß, dass er sich gut in die Lage anderer hineinversetzen kann. Also schultere ich meine Tasche und laufe in seine Richtung. Autos rasen vorbei und wirbeln leere Getränketüten und Schokoriegelverpackungen über die Straße. Als ich schließlich Dwaynes mit Spielzeug übersäten Vorgarten erreiche und an seine Tür klopfe, ist mein T-Shirt mit Schweiß durchtränkt.
»Ich habe dich im Fernsehen gesehen, Owen«, begrüßt er mich. »Das mit deinem Dad tut mir leid.«
Ich kann nur mit Mühe meine Tränen unterdrücken.
»Hast du wirklich dieses Mädchen umgebracht?«, erkundigt er sich und tritt dabei halb hinter die Tür.
»Wie bitte?«
»In den Nachrichten haben sie gesagt, du wirst von der Polizei gesucht. Die haben Fotos von dir und ein paar anderen Typen gezeigt. Soldaten oder Terroristen oder so.«
»Sie war eine Schülerin …«
»Das haben sie auch in den Nachrichten gesagt. Dass sie eine frühere Schülerin von dir war. Was lief da zwischen euch beiden, Mann? Das ist eine verdammt ernste Sache.«
Ich weiß nicht mal ansatzweise, was ich darauf erwidern soll. »Kann ich bei dir ein paar Nächte unterkommen? Mein Vater … Ich weiß nicht, wo ich sonst hin soll.«
»Ich weiß nicht. Ich glaube, du versuchst es lieber woanders, Mann. Warte, bis ein bisschen Gras über die Sache gewachsen ist.«
»Nur bis morgen.«
Dwayne kommt hinter der Tür hervor und versperrt den Eingang. »Owen, Alter, ich muss an Monica und die Kinder denken«, flüstert er eindringlich. »Dein Gesicht ist laufend in den Nachrichten zu sehen. Ich kann dich hier nicht reinlassen.«
»Wie lange kennen wir uns schon, Dwayne?«
Er schweigt eine Sekunde, antwortet dann: »Nein.«
»Was?«
»Nein. Tut mir leid, Owen. Du musst bei jemand anders unterkommen.«
Dwayne bleibt mit entschlossener Miene in der Tür stehen. Ich habe das seltsame Gefühl, dass er mich nur auf den Arm nehmen will und gleich in Gelächter ausbricht und mich reinbittet.
»Es ist ein Missverständnis. Eine Verwechslung«, erkläre ich und mache einen Schritt vorwärts. »Ich bin immer noch derselbe.«
Dwayne rührt sich nicht vom Fleck, sondern sieht mich nur mit einem unnachgiebigen Ausdruck in den Augen an. Dann kommt er noch ein Stück weiter hinter der Tür hervor, so dass ich den alten Baseballschläger sehen kann, den er in der Hand hält. Der
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