Das Implantat: Roman (German Edition)
Gasse – blindlings und keuchend. Bloß weg von dem Krach, dem Chaos, den Toten.
US-Bundesbezirksgericht für den westlichen Bezirk Pennsylvanias
Abteilung Pittsburgh
DER BUNDESSTAAT PENNSYLVANIA , vertreten durch den Generalbundesanwalt Sam Pondi et al.:
Der Kläger
JOHN SIZEMORE
gegen
die Beklagte
TAMMY ROGERS
BEWILLIGUNG EINES URTEILS IM ABGEKÜRZTEN VERFAHREN
In dem vorgebrachten Fall wird entschieden, dass Personen mit künstlich erhöhter Intelligenz nicht geschäftsfähig sind.
Es ist seit langem gängige Praxis, dass Personen mit verminderter Zurechnungsfähigkeit (z.B. Kinder und geistig Behinderte) von Rechts wegen nicht geschäftsfähig sind. In ähnlicher Weise kann unserer Auffassung nach Personen mit künstlich erhöhter Intelligenz eine
erhöhte
Zurechnungsfähigkeit zugesprochen werden, was zwangsläufig zu einer ungleichen Chancenverteilung führt.
Wie die vorgelegten Beweise gezeigt haben, kann es dazu kommen, dass jene mit erhöhter Intelligenz diese ungleiche Chancenverteilung zum Nachteil jener mit geringerer »natürlicher« Intelligenz ausnutzen, also den sogenannten »gemeinen Mann« übervorteilen. Mit anderen Worten: Personen mit künstlich erhöhter Intelligenz machen andere implizit zu Menschen mit verminderter Zurechnungsfähigkeit.
Um dem wachsenden Ungleichgewicht zwischen diesen zwei Formen der Intelligenz entgegenzuwirken und wieder einen Zustand der Chancengleichheit herzustellen, legen wir hiermit fest, dass Personen mit künstlich erhöhter Intelligenz von Rechts wegen nicht geschäftsfähig sind.
Infolgedessen erklären wir den Vertrag, der zwischen John Sizemore und Tammy Rogers abgeschlossen wurde, für null und nichtig.
4
Die Regeln
D er Toaster verfehlt meinen Kopf um kaum einen halben Meter und zerspringt auf dem Bürgersteig in tausend Teile. Ich blicke verdutzt darauf nieder, bis mich gleich darauf ein hölzerner Serviettenring an der Schulter trifft.
Ich sehe gerade noch einen dürren Unterarm im Fenster meiner im zweiten Stock gelegenen Wohnung verschwinden. Charles, mein Vermieter, wirft meine Habseligkeiten in hohem Bogen auf die Straße. Gleich neben dem Bürgersteig steht auch schon ein wackliger Stapel hastig gepackter Kartons auf dem Rasen. Etwas weiter hinten laden ein Sofa und ein Sessel zum Sitzen im Freien ein.
»Charles!«, rufe ich. »Was zum Teufel machst du da?«
Er streckt sein ausgemergeltes Gesicht zum Fenster heraus und starrt mich keuchend an. Ich sehe, wie er schluckt und sein Adamsapfel kurz nach oben zuckt. Brabbelnd wirft er eine Handvoll Besteck in meine Richtung und verschwindet dann wieder nach drinnen.
Eben will ich die Haustür aufdrücken, da wird sie schon von innen aufgestoßen. Charles, der dünne Kerl, springt mir mit seinen ganzen sechzig Kilo entgegen. Er wirft krachend die Tür zu und schließt sie dann ab.
Das Schloss funkelt förmlich in der Sonne, so neu ist es.
»Ich bin nicht verpflichtet, mit dir zu reden«, sagt er im abgehackten Dialekt des gebürtigen Pittsburghers.
»Wie bitte?«
»Tritt zurück. Auf den Bürgersteig. Du begehst Hausfriedensbruch.«
Charles kommt mit wütend zusammengekniffenen Augen auf mich zu. Verwirrt hebe ich die Hände und mache einen Schritt rückwärts. »Charles, ich habe keine Ahnung, was hier vor sich geht. Was ist denn los, Mann?«
»Dachtest, du wärst ein ganz Schlauer. Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten. Eins zu null für die Yinzer [2] , Arschloch.«
Charles versetzt einem der Kartons einen Tritt, und meine Lehrbücher aus der Collegezeit verteilen sich über den nassen Rasen. Ich bücke mich, um sie wieder in den feuchten Karton zu räumen. Ein junger Typ kommt vorbei und fängt an, mit neugierigem Blick meine Küchensachen zu begutachten.
»He«, sage ich. »Das ist kein Flohmarkt.«
Der Typ kümmert sich nicht um mich und wirft stattdessen Charles einen Blick zu.
»Das heißt verschwinde«, füge ich hinzu.
Charles tippt sich an die Schläfe. »Beachte ihn gar nicht«, meint er zu dem Kerl.
Keine Reaktion. Weder Mitgefühl noch Wut. Der Typ steht einfach da und sieht mich misstrauisch an, wie einen Verrückten, auf den man zufällig an der Bushaltestelle stößt.
Mir wird klar, dass sich etwas Grundlegendes verändert hat. Das bisschen Empathie, das die Gesellschaft bisher zusammengehalten hat, ist spröde und brüchig geworden. Der Typ, der da vor meinem Zeug steht – er erkennt zwar, dass ich wie ein Mensch aussehe, aber dass ich
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