Das Implantat: Roman (German Edition)
steigerte beziehungsweise
amp
lifizierte die Intelligenz des Kindes und brachte sie auf ein ungeahntes Niveau, ließ dabei allerdings das nicht allzu helle, sanftmütige, zum Sabbern neigende kleine Mädchen, das ich kannte, irgendwo in den Niederungen zurück.
Von außen war nicht mehr zu sehen als eine kleine dunkle Plastikbuchse an der Schläfe, die auch als Leberfleck hätte durchgehen können. Die Wartungsschnittstelle.
Sah genau aus wie meine.
»Ich weiß, was du durchmachst, Sam«, rufe ich jetzt der schlaksigen Teenagerin zu, die vor mir auf dem Dach steht. »Ich weiß, wie es ist, wenn man von allen angestarrt wird und die anderen heimlich über einen tuscheln. Aber wir schaffen das schon, wir beide.«
Wie bei vielen Menschen ist meine Hardware nicht in Ordnung. Ist schon lange so. Epilepsie. Mein Arzt meint, in meinem Kopf herrsche ein ähnliches Durcheinander wie damals nach dem Turmbau zu Babel, und ich glaube ihm. Klar glaube ich ihm. Mein Arzt ist schließlich mein Vater.
Aber hinter der kleinen Buchse an meiner Schläfe verbirgt sich keineswegs ein so abgefahrener Wunderkasten wie der von General Biologics in die Welt gesetzte Neuronale Autofokus. Bei mir sitzt da nur ein einfacher Stimulator, der zur Behandlung von Epilepsie entwickelt wurde und der verhindern soll, dass ich an meiner Zunge ersticke. Bildlich gesprochen natürlich. Mein Dad hat mich schon früh darüber aufgeklärt, dass das mit der Zunge nicht wirklich passieren kann.
Trotzdem ist es nicht so, als könnte ich das Implantat ebenso gut wieder ausschalten. Und das ist die Krux an der Sache. All diese Werkzeuge, die wir so sehr lieben, haben sich in unseren Körpern festgesetzt wie Parasiten. Jetzt stecken sie in unseren Hirnen, unseren Gelenken, unseren Organen. Hocken hinter unseren Augäpfeln und hausen in unseren Nebenhöhlen. Machen uns schlauer, stärker – und immer mehr von ihnen abhängig.
»Sie haben keine Ahnung, was ich durchmache«, erwidert Sam. »Sie sind aus medizinischen Gründen so, nicht freiwillig. Sie haben nicht den
Hauch
einer Ahnung.«
Irgendwann hat ein Arzt in seinem keimfreien Untersuchungszimmer verkündet, Sam habe ein Problem. Sie hatte Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, das war eigentlich alles. Allerdings gab es eine Lösung für dieses Problem – und ihre Eltern entschieden sich, davon Gebrauch zu machen. Sie hatten ein bisschen Geld, wollten das Beste für ihre Tochter und waren bereit, das Risiko einzugehen. Viele andere Eltern hätten an ihrer Stelle vermutlich das Gleiche getan.
»Du bist nicht freiwillig so, Sam.«
»Wem sagen Sie das«, murmelt sie, den Blick auf den Boden tief unter ihren Füßen gerichtet.
Ich war damals zweiundzwanzig und unterrichtete in meinem ersten Jahr als Lehrer. Länger als ein Jahr habe ich es allerdings mit all den runden Gesichtern und ihren flinken Augen nicht ausgehalten, dann bin ich an die Highschool geflüchtet. Aber in dem Jahr war ich da und konnte zusehen, wie alles seinen Anfang nahm. Jetzt klammere ich mich an den Dachfirst und bewege mich vorsichtig vom Fenster weg – nur um möglicherweise Zeuge zu werden, wie alles endet.
»Lassen Sie das, Mr. Gray«, warnt Samantha mich. Sie klingt leicht genervt, als hätte sie mich dabei erwischt, wie ich etwas Unziemliches tue. »Kommen Sie ja nicht näher.«
Trotzdem krieche ich auf dem Dachfirst weiter vorwärts, einer neunundzwanzigjährigen Schildkröte gleich, die zitternd und ängstlich über einen rutschigen Baumstamm balanciert. Die Innenseite meiner Hose und meine Hemdbrust sind von den glitschigen Schindeln durchnässt, und auch von oben prasselt der Regen auf mich ein. Bitte, bitte, bitte, denke ich.
Bitte lass mich nicht abrutschen und mit meinem nassen Hosenlatz, den albernen Bleistiften in meiner Hemdtasche und meinen moosbeschmierten Akademikerhänden vom Dach schlittern.
Das verdammte Ding bietet ungefähr genauso viel Halt wie eine Wasserrutsche, aber zurück kann ich nicht, also ignoriere ich Sams genervte Warnung und arbeite mich weiter voran.
Sie gibt ihren Protest auf und wartet einfach, bis ich es zu ihr geschafft habe.
Es war der Pure Human Citizen’s Council – der »Bürgerrat für reine Menschen« –, der die Schulen des Landes dazu brachte, Kinder mit Implantaten vom Unterricht auszuschließen. Die Organisation war der Meinung, die kleine Minderheit modifizierter Kinder nehme der großen Mehrheit nicht-modifizierter Kinder wertvolle Ressourcen weg. Das stimmte,
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