Das Implantat: Roman (German Edition)
verschwommenen Augenblick lang ist alles still. Die Leute stehen vor ihren Wohnwagen wie Schauspieler, die auf ihr Stichwort warten. Der Typ mit freiem Oberkörper hat sein mit Öl verschmiertes Exoskelett angelegt. Wie ein Sprinter beim Aufwärmen balanciert er auf einem Fuß und zieht den anderen mit der Hand ans Gesäß.
Ich drehe mich zu Jim um. »Was tun wir?«
»Nichts«, antwortet Jim.
»Nichts?«
Jim schaut mit zusammengekniffenen Augen in die Ferne. Überall gehen auf den Veranden die Lichter aus. In Eden wird es dunkel.
»Ich muss mich verstecken«, flüstere ich.
»Wart ab«, sagt Jim und hält mich hinten an meinem Hemd fest. »Wenn du jetzt wegrennst, werden sie dich verfolgen. Und wenn sie dich mit dem Ding erwischen, das du da im Kopf hast, wird Joe Vaughn das als Beweis dafür darstellen, dass Siedlungen wie diese als Verstecke für Amps mit militärischer Ausrüstung dienen.«
Meine Haltung wird wieder etwas lockerer, und Jim lässt mein Hemd los.
Einige Sekunden später kommt ein Cop zwischen zwei Wohnwagen hervor. Ein großer, kräftiger Kerl, der bestimmt zweimal so viel wiegt wie der Junge, dem er auf den Fersen ist. Er hat eine Art Rüstung aus irgendeinem leichten schwarzen Material an. Unter dem linken Auge trägt er ein münzgroßes, grün leuchtendes Okular, das über einen Bügel mit seinem Earset verbunden ist.
Ohne den Kopf zu bewegen, flüstert Jim mir zu: »Bleib mit dem Gesicht im Schatten und sieh ihn auf gar keinen Fall an.«
Der Cop beachtet uns nicht und scannt die Umgebung. Wie ein Hai auf Beutezug schwenkt er den Kopf hin und her und tastet den Boden nach Fußabdrücken ab, die noch warm sind. An der Stelle, an der der Junge fast gestürzt wäre, hält der Polizist eine Weile inne. Danach folgt er mit dem Blick zuerst den Spuren, die Lucy hinterlassen hat. Als er sie in einiger Entfernung ruhig davongehen sieht, widmet er sich jedoch wieder der Suche nach unserem heimlichen Hausgast.
Er kommt näher und näher. Zu unserem Wohnwagen. Zu unseren Stufen.
Der Cop bleibt stehen und schiebt das Nachtsichtgerät beiseite. Mustert mich, als wäre ich ein lebloses Möbelstück. Vielleicht versucht er einzuschätzen, wie schwer ich zu heben wäre. Mit beiläufiger Geste berührt er das Funkgerät, das an der Schulter seiner Schutzweste befestigt ist, und versichert sich, dass es noch da ist.
»Aus dem Weg«, grunzt er, während er mit mechanisch wirkenden Schritten die Treppe heraufkommt. Ich höre winzige Motoren surren und bemerke, dass ein Bein-Exoskelett zu der Rüstung gehört. Nichts Aufwendiges, nur eine kleine Geh- und Spurthilfe.
Ich weiche nicht schnell genug aus und werde von dem Cop grob angerempelt. Mit seiner Rüstung und dem dazugehörigen Akku bringt der Kerl so viele Kilos auf die Waage, dass ich ins Straucheln gerate und erst am Geländer der Veranda mein Gleichgewicht wiederfinde. Der Cop tritt die Tür ein.
»Sie dürfen da nicht rein!«, protestiert Jim.
»Ich kann machen, was ich will«, antwortet der Polizist ungerührt und verschwindet im Wohnwagen.
Er hat recht. Wir leben in einer Art gesetzlichen Grauzone. Es könnte sein, dass der Typ nicht mal Probleme kriegen würde, wenn er uns einfach auf die Straße zerren und nacheinander erschießen würde.
Ohne uns anzusehen, bleiben Jim und ich draußen auf der Veranda, während der Kerl im Innern wütet. Man hört Glas zerspringen, und durch die dünnen Wände dringt gedämpftes Geschrei zu uns. Einen Augenblick später kommt der Cop heraus. Er ist nicht mal außer Atem und bewegt sich gemächlich und ohne Hast, wie ein Roboter. Er hat den Jungen am Rücken seines Hemdes gepackt und schleift ihn nach draußen wie einen Müllsack.
Mit einer beiläufigen Bewegung schubst er seinen Gefangenen von der Veranda. Der Junge stolpert die Stufen hinunter, versucht, auf den Beinen zu bleiben, landet jedoch mit seinen aufgeschürften Knien im Staub. Mit leise surrenden Elektromotoren steigt der Cop zu ihm hinab.
Niemand in der Wohnwagensiedlung sagt ein Wort. Alle sehen einfach nur zu.
Der Junge beweist erstaunlichen Mumm und springt auf die Füße. Er will abhauen, doch der Cop ist direkt hinter ihm und bekommt ihn an den Haaren zu packen. Mit einem heftigen Ruck zerrt er den Jugendlichen nach hinten, der auf dem Punkt herumgewirbelt wird und mit seinen blutigen Händen rudert, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Mit einer Hand streift er aus Versehen das Gesicht des Polizisten.
Ein betroffenes Murmeln
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