Das Implantat: Roman (German Edition)
nicht, dass dir was passiert. Ich habe schon genug Schaden angerichtet. Schau dich bloß mal um«, meint Jim. »Und ich dachte, ich tue diesen Leuten einen Gefallen.«
Eden mag gerade ruhig wirken, dennoch ist die Spannung in jeder Bewegung und jedem Geräusch zu spüren. Die Illusion von Normalität kann jeden Moment zerplatzen wie eine Seifenblase.
»Mein Vater hat gesagt, du würdest mir alles erklären. Es war das Letzte, was er gesagt hat.«
Der alte Mann trinkt einen Schluck Bier und schweigt einen Augenblick lang. Schließlich nimmt er einen weiteren Schluck und beginnt dann endlich zu erzählen.
»Ich habe nur die Hardware für die Amps gebaut. Programmiert wurden sie von der Army und installiert von deinem Vater. Alle dreizehn. Das war schon die gesamte Reihe, aber ich weiß trotzdem nicht alles darüber. Vor der Aktivierung müsste das Gerät funktionieren wie ein ganz normaler Autofokus. Lenkt deinen Geist in die richtige Richtung und so. Doch in dem Ding steckt auch Wissen. Ich nehme mal an, es handelt sich um militärische Kenntnisse und Fähigkeiten. Doch ich weiß es nicht genau – den Teil habe ich nicht programmiert. Ich weiß nur, dass der Amp das Ruder übernimmt, wenn du ihn einschaltest. Volle Beschleunigung. Keine Zeit zum Nachdenken. Wenn du ein guter Mensch bist, wirst du dann gute Dinge tun. Wenn nicht, dann nicht.«
»Er übernimmt die Kontrolle?«
»Ja, aber du bleibst natürlich du selbst. Allerdings gehorcht der Zenith nicht dem, was hier oben passiert«, erklärt Jim und deutet auf meine Stirn. »Er gehorcht dem, was hier unten vor sich geht.« Er tippt mir im Bereich des Herzens auf die Brust. »Er hilft dir, deine wahren Wünsche zu erfüllen.«
Über diesen Punkt denke ich kurz nach. »Wie schalte ich ihn an?«, frage ich.
»Es gibt einen einprogrammierten Auslösemechanismus. Wird wahrscheinlich durch eine bestimmte Geste oder eine bestimmte Wortfolge aktiviert. Genau kann dir das nur Lyle sagen.«
Jim kippt den letzten Schluck Bier aus seiner Dose herunter, lässt sie fallen und öffnet mit geübter Geste sofort die nächste. Dann hüllt er sich wieder in Schweigen.
In dem Moment stößt etwas von unten gegen die Bohlen der Veranda. Jim schüttelt genervt den Kopf und stampft mit dem Fuß mehrmals laut auf das durchhängende Holz. Die Tritte hallen durch die Dunkelheit wie Paukenschläge.
»Komm sofort hier rauf, Nicky!«, ruft er. »Du kleine Prärieratte.«
Schmutzig und voller Blätter kriecht Nick unter der Veranda hervor. Über seinen niedrig sitzenden Ohren stehen seine staubigen Haare in alle Richtungen ab, und er hat ein breites Grinsen im Gesicht. »Wusste ich’s doch«, murmelt er. »Ich wusste doch, dass er hier ist, um etwas zu tun.«
»Verdammt, Nicky«, sagt Jim. »Wo ist deine Mutter?«
»Auf dem Weg. Ich werde ihr sagen, dass du sie sehen willst. Bis später … Zenith.« Nick kichert und geht davon.
»Himmel«, flucht Jim.
»Ich werde mit ihm reden«, sage ich, aber Jim sieht bereits woandershin. Eine Frau kommt mit langsamen, entspannten Schritten auf die Veranda zu. Sie strahlt so viel Ernsthaftigkeit und Schwere aus, dass sich sogar das Licht in ihre Richtung zu bewegen scheint.
Als sie aus dem Schatten tritt, kann ich zuerst nur ihre blassen Lippen sehen. Dann wischt sie sich ihre dunkelblonden Haare aus dem Gesicht und richtet ihre leuchtenden mandelförmigen Augen auf mich. Das Schimmern aus all den zerknitterten Papierlaternen, die über der Veranda hängen, spiegelt sich in ihren Augen und scheint ungeahnte Möglichkeiten zu eröffnen.
Ihre Schläfe ist blank. Sie ist nicht mal ein Amp.
Hastig stelle ich mein Bier auf den Boden und öffne den Mund. Bereit, sofort irgendwas zu tun oder zu sagen. Doch was genau ich tun oder sagen möchte, will mir ums Verrecken nicht einfallen.
»Hallo, Lucy«, begrüßt Jim sie. »Nick war vor dir hier.«
»Ist er doch meistens«, erwidert Lucy. »Hab euch Jungs was zum Essen mitgebracht.«
Sie reicht Nick zwei bereits aufgewärmte Mikrowellengerichte. Jim dankt ihr mit einem knappen Nicken.
»Das hier ist Owen«, stellt er mich vor. »Er ist der Sohn eines Freundes von mir. Die übliche Geschichte. War Lehrer, wie du. Mathe oder so.«
»Hi«, sagt sie und streckt die Hand aus. »Ich bin Lucy.«
Ich schüttle Lucys Hand und muss mich förmlich dazu zwingen, sie wieder loszulassen. Sie blickt vom Fuß der Veranda zu mir herauf, und ich kann an nichts anderes denken als daran, wie hübsch sie ist.
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