Das Implantat: Roman (German Edition)
Nach einer Sekunde merke ich, dass ich noch nichts geantwortet habe. Sie grinst – weil sie das amüsant findet, wie ich hoffe.
Ihr Lächeln geht mir lange nicht mehr aus dem Kopf. Habe es mir in dem Moment wohl ziemlich genau eingeprägt.
»D-danke«, sage ich. »Das wäre nicht nötig gewesen.«
»Das ist das mindeste, was ich tun kann. Jemand muss schließlich dafür sorgen, dass der alte Einsiedler ab und zu mal was in den Magen kriegt.« Sie senkt die Stimme und beugt sich zu Jim hinüber. »Planst du noch einen Ausflug?«
»Morgen früh geht’s los«, antwortet er. »Werde wohl ungefähr eine Woche lang weg sein. Mache Besuche in Locust Grove, Lost City und Tenkiller.«
»
Wohin
gehst du?«, frage ich verwirrt.
Lucy richtet sich auf, verschränkt die Arme vor der Brust und hebt die Brauen. »Er weiß gar nicht, was du machst?«
Jim nimmt noch einen Schluck Bier. Blickt in die Siedlung hinaus.
»Er ist unser Arzt«, erklärt Lucy. »Schon seit zehn Jahren. Der einzige Fachmann für Implantate im ganzen Osten Oklahomas. Er kümmert sich um die kleineren Gemeinden. Ohne ihn wären dort viele Menschen ganz schön aufgeschmissen. Besonders im Moment.«
»Wieso hast du mir das nicht erzählt?«, frage ich Jim.
»Ist nicht so wichtig«, gibt der alte Mann zurück.
Lucy schüttelt den Kopf. Sie wirft mir einen Blick zu, der mir zu verstehen gibt, dass es sehr wohl wichtig ist.
Jim ist hier draußen, um Wiedergutmachung zu leisten. Um den Leuten zu helfen und damit für seine Sünden zu büßen – ob es nun wirklich Sünden waren oder nicht. Er hat die Zeniths gebaut und es dem Militär überlassen, wozu es sie verwendet. Was mag in den Dingern drinstecken, das so schlimm ist, dass er deswegen sein altes Leben aufgegeben hat und hier zu der allerersten Uplift-Siedlung im abgelegenen Sequoyah County herausgekommen ist?
Ein Lichtstrahl erfasst Lucys Gesicht.
Wir drehen uns alle gleichzeitig um. Sehen die Autoscheinwerfer. Hören Sirenengeheul in der Ferne.
Und so kommen sämtliche abendlichen Aktivitäten in Eden von einer Sekunde zur nächsten zum Erliegen. Die Menschen kehren hastig in ihre Wohnwagen zurück, fühlen sich im Freien nicht mehr sicher. Besonders jetzt, da es dunkel ist.
Drüben vom Parkplatz ist ein lautes Knirschen zu hören. Erinnert mich an einen Schlitten, der über vereisten Schnee hüpft. Reifen quietschen. Ein Auto scheint außer Kontrolle zu geraten. Das holpernde, dunkle Gebilde kommt gerade so am Rand von Eden zum Stehen.
Ich höre eine Tür aufspringen. Zugehen höre ich sie jedoch nicht wieder.
Die Sirenen werden lauter.
»Wir sollten reingehen«, meint Jim. Er ist schon aufgestanden, hat den Klappstuhl in der einen Hand und den Rest des Sixpacks in der anderen.
Ich bewege mich nicht. Ich beobachte, wie die Bewohner der Siedlung reagieren. Eltern scheuchen ihre Kinder in die Wohnwagen. Ein paar der Erwachsenen bleiben jedoch draußen. Stehen aufrecht und mit grimmigen Mienen auf ihren Veranden und warten ab, was kommt.
Die Sirenen haben uns inzwischen erreicht. Schon werden sie abgeschaltet. Auf dem Parkplatz drehen sich rote und blaue Lichter.
»Geh rein, Owen«, fordert Jim mich auf. »Wenn die Cops deinen Führerschein durch den Computer laufen lassen, bist du geliefert.«
Lucy betrachtet mich verwirrt.
In dem Moment kommt ein Jugendlicher zwischen zwei Wohnwagen hervorgeschossen und stolpert keuchend auf die Hauptdurchfahrt. Er kann sich gerade noch so mit einer Hand vom Boden abstützen und rennt weiter. Hastig steuert er auf den nächstbesten Wohnwagen zu.
Auf unseren.
Jim macht einen Schritt auf die Tür zu. Doch es ist zu spät.
»Danke«, keucht der Junge, drängt sich an mir vorbei und stürmt in den Wagen. Mir fällt der dunkelgelbe Knopf an seiner Schläfe auf. Wie jeder hier hat er einen vom Staat gesponserten Neuronalen Autofokus im Kopf. Wie sagte Nick: Wohlfahrts-Knubbel. Macht aus einem durchschnittlichen Kind ein Genie und aus einem dummen Kind ein durchschnittliches. Die meisten wurden dummen Kindern eingesetzt.
»Verdammt«, flucht Jim.
Der Junge hinterlässt den Geruch von Schweiß, Gras und Benzin auf der Veranda. Er knallt die Tür hinter sich zu. Verdutzt bleiben Jim und ich im schummrigen Licht der Papierlaternen zurück.
»Bis zum nächsten Mal«, sagt Lucy. Der Stoff ihres Kleides spannt, als sie davongeht. »Willkommen in Eden!«, ruft sie mir über die Schulter zu und schenkt mir zum Abschied noch mal ein Lächeln.
Einen kurzen,
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