Das Implantat: Roman (German Edition)
über sein rechtes Augen und macht sich wieder an die Arbeit. In dem eisig kalten Laderaum bildet unser Atem kleine Wölkchen.
»Ich halte das für keine gute Idee«, sage ich.
»Es muss sein«, erwidert Lyle.
»Ich lass nicht an mir rumschnippeln.«
Lyle gibt einen Seufzer von sich. »Dort draußen leben jede Menge Amps, die von uns abhängig sind. In Eden und im ganzen Land.«
Ich muss an das Anatomie-Poster denken, das in der Praxis meines Vaters an der Wand hing. Stirnlappen. Schläfenlappen. Motorcortex. Sensorischer Cortex.
»Worüber reden wir hier?«, frage ich.
»Nur über ein paar sensorische Zusatzprogramme. Für Netzhaut und Innenohr. Augen und Ohren. Ambulanter Kram. Dauert gerade mal fünfzehn Minuten. Die Programme verbinden sich automatisch mit deinem Zenith, und ich biete dir die Operation umsonst an. Dabei ist sie normalerweise alles andere als umsonst – richtig, Norman?«
Als Antwort wedelt Norman bloß mit dem glänzenden kleinen Instrument in seiner Hand. Dann rammt er es seinem Patienten in den Kopf, den er mit der anderen Hand festhält. Ich höre ein pneumatisches Knacken und erschauere.
»Warum?«
»Weil du dann besser im Dunkeln sehen kannst. Und besser hören kannst als eine Feldmaus. Das ist nützlich. Aber der echte Vorteil liegt in den
Verbindungen.
Der Zenith bekommt zusätzlichen Input, den er verarbeiten kann. Von der Netzhaut. Vom Innenohr. Dann bist du in sensorischer Hinsicht voll vernetzt.«
»Und warum sollte ich das wollen?«
»Na, weil du so Eden besser beschützen kannst«, sagt er.
Er hat recht. Allein bei dem Gedanken an die Typen draußen auf dem Feld, die Nick so misshandelt haben, möchte ich sofort durch den Laderaum rennen und in den OP -Stuhl springen.
»Alle meine Generäle haben es machen lassen«, fährt Lyle mit erhobenen Brauen fort. »Tu du das Gleiche. Lerne, damit umzugehen, und anschließend musst du dich vor nichts mehr verstecken. Dann wird ein echt übler Bursche aus dir. Ein echter Astra.«
Ein General? Aber ich war bis jetzt doch nur auf Level zwei. Bin ich schon bereit, eine Armee anzuführen?
Ich ducke mich unter einem der durchsichtigen Vorhänge durch und sehe mir die Sache genauer an. Doch der Anblick der chirurgischen Instrumente macht mich nicht gerade mutiger. Rasiermesserscharfe Klingen und glänzende Injektionsnadeln.
»Entspann dich, Mann«, meint Lyle. »Sogar unser kleiner Nick hat sich die Programme einsetzen lassen. Sie sind so leicht zu installieren, dass der Typ hier es sogar im Laderaum eines Sattelzugs hinkriegt, der mitten im Nirgendwo steht.«
»Lass … lass mich kurz darüber nachdenken«, stammle ich.
»Glaubst du, Vaughn wird uns einfach so da reinmarschieren lassen, um Valentine zu warnen?«, fragt Lyle. »Wir brauchen jeden Vorteil, den wir kriegen können. Zum Nachdenken haben wir keine Zeit.«
Lyle weist mit dem Kinn auf den Patienten, einen Latino mit gelockten Haaren, der die Handgriffe des Operateurs mit weit geöffneten Augen über sich ergehen lässt. »Sieh uns doch nur an, uns Amps. Wir sind teuflisch schlaue Idioten. Superstarke Krüppel. Ein Haufen Versager mit jeder Menge Potenzial. Wir sind die versehrten Superhelden, die die Zukunft braucht, Gray. Es wird Zeit, dass du zu dir findest. Die neue Welt wird sich nicht von selbst errichten. Und die alte wird nicht kampflos abtreten wollen.«
»Hast du es auch machen lassen?«, will ich wissen.
Daraufhin beugt Lyle sich vor und zieht mit einem seiner fettigen Finger das untere Augenlid herab. Undeutlich ist ein kleines graues Rechteck im Weiß seines Auges zu erkennen. Man kann es kaum sehen.
»Hat beim Echo Squad zur Standardausrüstung gehört«, erklärt er.
»Du wirkst eigentlich gar nicht wie einer, der zum Militär gehen würde.«
Lyle schnaubt verächtlich. »Das hat in meiner Familie lange Tradition. Doch seit sie mir den Zenith eingesetzt haben, ist alles anders. Seither nehme ich die Dinge klarer wahr. Habe begriffen, dass ich jetzt eine neue Familie habe – eine, die mich dringend braucht.«
»Willst du damit sagen, es war im Grunde ein Glück für dich, dass das mit der geheimen Einheit rauskam und du aus der Armee geworfen wurdest?«
»Ja, ein echtes Glück«, gibt Lyle grinsend zurück. Doch sein Lächeln kommt mir nicht ganz echt vor. Es ist, als würden halb verdrängte Erinnerungen es leicht aus der Form ziehen. »Und du hast auch Glück. Nur ganz besonderen Leuten verhelfe ich zu dieser Art von Hardware. Leuten mit
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