Das Implantat: Roman (German Edition)
hieven sollte, sanft im staubgeschwängerten Wind. Unter dem Dunst liegen überall alte Männer wie umgefallene Schaufensterpuppen auf dem Boden; ihre Exoskelette befinden sich noch genau in der Position, die sie unmittelbar vor der Detonation eingenommen hatten. Wie Mäuse, die in besonders komplizierte Fallen getappt sind, versuchen die alten Männer, sich in ihren eingefrorenen Apparaturen zu bewegen.
Manche Demonstranten kauern immer noch am Boden und halten sich schützend ihre Arme über den Kopf. Andere nutzen die Gelegenheit, um ein paar weitere Schläge und Tritte auszuteilen. Ihre Amp-tragenden Gegner pressen sich die Hände gegen die Schläfen und wanken wie benommen umher. Selbst die Cops mühen sich dabei ab, aus ihren Bein-Exos herauszukommen.
Eine Bombe. Die Pure-Pride-Leute haben offenbar eine Bombe hochgehen lassen, die einen elektromagnetischen Impuls aussendet. Der Impuls ist durch uns alle hindurchgegangen wie eine geisterhafte Schockwelle. Wo sie auf elektronische Schaltkreise getroffen ist, hat sie den Strom für einen Moment so in die Höhe schießen lassen, dass er Motoren zum Stoppen brachte und Implantate sich so erhitzten, dass die Haut verbrannte.
Ich will mir das Gesicht abwischen, verschmiere aber lediglich den Staub und das Blut auf meiner Wange. Meine Hände hören nicht auf zu zittern, doch ich bin noch am Leben. Was da auch hochgegangen sein mag, der Impuls war nicht stark genug. Beim nächsten Versuch werden sie jedoch bestimmt nicht mehr so schlampig sein.
Nur einer von uns steht nach wie vor aufrecht.
Lyle Crosby gleitet über den Parkplatz wie ein Geist und weicht dabei am Boden liegenden Körpern und nach ihm schlagenden Gegnern aus. Hinter ihm steigt die schmutzig graue Rauchwolke in die Höhe. Der lachende Cowboy schützt mit einer Hand seine Augen gegen den Staub und läuft mit raschen, selbstsicheren Schritten in meine Richtung. In der rechten Hand hat er eine Pistole. Die Explosion muss wohl seine Aufmerksamkeit erregt haben.
Dann sieht er mich.
Wankend versuche ich, den Zaun zu erreichen. Doch ich komme nicht weit, stolpere über meine eigenen Füße und schürfe mir beim Sturz die Hände auf. Verzweifelt krabbele ich auf allen vieren davon.
»Jim ist gestürzt«, sage ich. »Jim ist verletzt …«
Ängstlich auf dem Boden kauernd, drehe ich mich um und sehe Lyle vor mir stehen.
Drei, zwei …
Der Cowboy erwischt mich mit der Handkante am Hals, bevor ich die Auslösebewegung vollenden kann. Mit stockendem Atem und rasenden Kopfschmerzen lande ich bäuchlings im Dreck. Lyle schlendert gelassen an mir vorbei und beugt sich über den Rand der Kellergrube.
»Verdammt«, meint er.
Mit in die Hüfte gestemmten Händen lässt Lyle den Blick über die Baustelle schweifen.
»Ein elektromagnetischer Impuls, hm? Die Typen werden immer gerissener. Aber es hätte nicht so kommen müssen«, erklärt er. »Ich habe alles getan, was ich konnte. Hab dich mit Samthandschuhen angefasst. Aber du wolltest ja um keinen Preis kämpfen. Jetzt sieh dich an. Schau, was Jim passiert ist. Eden hatte nie eine Chance, Gray.«
»Lucy«, stoße ich mit erstickter Stimme hervor.
»Himmel. Die habe
ich
auf dich angesetzt. Wie blind kann man sein? An dem Abend, als ich den Cop aus der Siedlung geworfen habe, ist mir aufgefallen, wie verträumt du sie anstarrst. Ich wollte mehr über dich erfahren, und sie hat mir alles erzählt, was ich wissen musste. Dachte, ich könnte dich für meine Sache gewinnen, nachdem sie dir die Krallen gezogen hat. Aber Daley hatte recht: Du hast gar keine Krallen.«
Erinnerungen blitzen auf. Lucy, die vorbeikommt, um mit Jim zu sprechen, und sich dann auch mit mir unterhält. Wie sie in dem Wohnwagen meine Hand zärtlich drückt. Das urinbefleckte Hemd, das sauber und gebügelt auf der Lehne ihres Sofas liegt. Wie wir uns küssen.
»Was?«, frage ich.
Lyle läuft wie manisch vor mir auf und ab. »W-w-was?«, äfft er mich nach. »Warum ist sie wohl bei euch vorbeigekommen? Warum war sie wohl so nett zu dir? Wie hätte ich sonst herausfinden sollen, dass du einen Zenith in der Birne trägst? Hast du tatsächlich geglaubt, ich bin an dem Tag
aus Zufall
an eurem Wohnwagen aufgetaucht? Besonders aufgeweckt bist du wirklich nicht. Und das ist schade, Mann, denn du hattest echt Potenzial.«
Er drückt mit dem Finger so fest auf die Ausgangsbuchse an seiner Schläfe, dass die Kuppe sich weiß verfärbt.
»Wusstest du, dass ich aus über zweitausendzweihundert
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