Das Implantat: Roman (German Edition)
stockt der Atem vor Schmerz, der noch viel schlimmer ist als damals, als ich mir mal die Finger in einer Autotür eingeklemmt habe. Doch dann dränge ich auch diesen Schmerz beiseite. Meine Hand hinterlässt blutige Abdrücke, als ich sie unter dem Stiefel hervorziehe.
Ich ziehe mich an einem der baumstammartigen Beine meines Gegners hoch und klettere sofort weiter auf seinen Rücken. Das Ganze fühlt sich an, wie auf einen Elefanten zu steigen, und riecht auch so. Muskelberge bäumen sich unter mir auf, während Brain wütend nach mir schlägt.
Der erste Hieb landet wie ein Vorschlaghammer zwischen meinen Schulterblättern. Japsend nach Luft ringend, umklammere ich noch fester die mächtige Brust meines Kontrahenten. Seine Fäuste fühlen sich an wie mit Bleikugeln gefüllt Säcke. Ich greife nach oben und halte mich mit einer Hand an seiner Stirn fest. Schon landet er mit der nächsten Faust einen Treffer, und ich beginne, bunte Lichter zu sehen.
»Tut mir leid«, flüstere ich. Mit einer Hand packe ich ihn fest an der Stirn und ramme den Daumen der anderen direkt in seine Buchse. Ein schmutziger Trick. Unterste Schublade. Mit aller Kraft bohre ich den Daumen in das gedunsene Fleisch seiner Schläfe. Er dreht ruckartig den Kopf und will wieder nach mir schlagen. Doch irgendwas gibt nach. Die Spitze meines Daumens versinkt einen knappen Zentimeter. Der bereits erhobene Arm schwankt für einen Moment und sinkt zögernd nieder. Ich verringere den Druck.
Brain gibt ein lautes Husten von sich und hört sich dabei an wie ein altes Auto, das nicht anspringen will. Der Hüne stolpert und streckt die Arme aus, um sich zu fangen. Wie ein gesprengtes Gebäude sinkt er auf die Knie.
Ich rutsche von seinem Rücken herunter und sehe ihm rasch ins Gesicht. Selbst auf den Knien ist er noch so groß wie ich; sein Blick geht starr geradeaus. Es klingt wie Kanonendonner, als er nun ein Niesen von sich gibt.
»Brain?«, frage ich. »Bist du in Ordnung?«
Halbherzig versucht er, erneut nach mir zu schlagen, doch seine Sicht scheint noch verschwommen zu sein. Ich werte das als ein Ja und mache mich aus dem Staub. Schnell renne ich über die Straße, auf der unmittelbar danach vier Polizeiwagen in einer Kolonne vorbeirauschen.
Ich folge dem Geheul der Sirenen in Richtung Chaos.
In vollem Spurt haste ich an heruntergelassenen Rolltoren und beigefarbenen Lagergebäuden vorbei. Ich meine, irgendwo wahre Menschenmassen spüren zu können, doch die Straßen wirken seltsam verlassen. Leere Plastikflaschen und bunte Flyer werden über den Asphalt geweht. Geschlossene Türen und heruntergefahrene Garagentore überall. Dunkle Wolken und schwacher Brandgeruch.
Auf der nächsten Straße stehen mehrere hölzerne Straßensperren, von denen zwei am Boden liegen.
Die Rufe dringen an mein Ohr, noch bevor ich etwas erkennen kann. Sie klingen nach nackter Panik und ungezügelter Wut, auch mehrere Schüsse sind jetzt zu hören. Zwei Frauen und ein Mann eilen humpelnd an mir vorbei. Eine der Frauen drückt dem Mann ein blutgetränktes Hemd an den Kopf. Als sie die Buchse an meiner Schläfe sieht, zieht sie die anderen zur Seite.
Ich biege um die Ecke – mitten hinein ins Kampfgetümmel.
Ich komme zu spät. Viel zu spät. Sämtliche Mitglieder aus Lyles Gang sind hier, und sie greifen die Pure-Pride-Aktivisten mit allem an, was sie finden können: mit Stahlstangen von der Baustelle, Brettern, Steinen – oder einfach mit ihren Fäusten. Einige tragen auch Waffen oder halten geklaute Polizeischilder vor dem Körper. Die Amps strömen von den Seitenstraßen auf die Normalos ein und treiben sie auf der Kreuzung in die Enge. Manche Normalos können entkommen, doch andere haben weniger Glück.
Ich beobachte, wie ein übergewichtiger Amp einem Mann mit der Faust den Wangenknochen zertrümmert und sich gleich darauf auf einen anderen stürzt wie ein Catcher. Ein anderer Amp mit zerrissenem Hemd wird von vier Normalos festgehalten, kann sich jedoch befreien und macht sich daran, sie mit Fäusten und Ellbogen niederzumähen.
Auf dem Asphalt liegen Menschen mit dem Gesicht nach unten und bewegen sich nicht mehr.
Von einem brennenden Auto weht Rauch über eine Gruppe von Normalos, die unmittelbar vor der Bühne stehen und Rücken an Rücken versuchen, sich gegen ihre Angreifer zur Wehr zu setzen. Ihre Schilder liegen vergessen am Boden, zusammen mit mehreren niedergetrampelten Verletzten. Ihre selbstbemalten T-Shirts mit den wütenden Slogans haben
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