Das Implantat: Roman (German Edition)
Normalo-Bürgern nur so wimmelt. Joseph Vaughn hat dafür gesorgt, dass bei der Veranstaltung Politiker, einsichtige Ärzte und andere seinen Zwecken dienliche Sprecher auftreten. Dort will der Cowboy seinen Kampf fortsetzen.
Während er im Slalom durch die Reihen verdutzter Pure-Pride-Anhänger läuft, gibt Lyle ein rauhes Lachen von sich. Gleichzeitig ruft er den anderen Amps Kommandos zu. Über den am Boden liegenden Exoskeletten der Baustellenarbeiter und den Bein-Exos der Polizisten steigt immer noch die große Rauchwolke auf. Mehrere Mitglieder von Lyles Gang springen auf und eilen ihm hustend hinterher. Als der Cowboy die Straße erreicht, kann ich hören, wie seine Absätze in unregelmäßigem Rhythmus und in viel zu langen Abständen auf dem Asphalt auftreffen. Dann verliert er sich mit seiner kleiner Gefolgschaft zwischen den Gebäuden des Industriegeländes, von dem die Baustelle umgeben ist.
Ich kämpfe mich auf die Füße und wanke ihm nach. Meine Beine fühlen sich an, als wären sie aus Beton, und meine Jeans sind mit Blutflecken bedeckt. Doch der Schmutz auf meinem Gesicht ist getrocknet und die Wirkung des elektromagnetischen Impulses, der uns alle außer Gefecht gesetzt hat, kaum noch zu spüren.
Ohne Hilfe bin ich zu langsam, um Lyle einzuholen.
Ich hole tief Luft und versuche, drei Finger aufzurichten. Doch meine verletzte Hand will mir nicht so recht gehorchen, also stelle ich mir die Bewegungen stattdessen bloß vor. Krümme meinen imaginären kleinen Finger und lege den Daumen darüber. Den mentalen Countdown runterzuzählen bereitet mir mittlerweile eine Art perverses Vergnügen. Ich versuche, selbstlose Gedanken zu denken, während ich ganz vorsichtig den Zenith aktiviere. Behutsam, so als würde ich in einer billigen Dusche an den glühend heißen Griffen drehen.
Level drei und damit gut, Kumpel.
Ich gehe nicht weiter runter, als ich muss.
Drei, zwei, eins, null.
Und als ich die Augen öffne, zeigt der Zenith mir mehr.
Zum einen erkenne ich, dass ich ein ziemlich großes Problem habe. Es ist ein ganzes Stück über zwei Meter groß, wiegt so seine hundertfünfzig Kilo und steht mit ausgestreckten Händen vor mir. Vor der Öffnung im Zaun, durch die ich nach draußen muss.
Brain.
Der ruhig abwartende Gigant wirkt so fremd auf mich, wie ein Cro-Magnon-Mensch auf einen Neandertaler gewirkt haben muss. Ich weiß, dass es sich um einen Menschen handelt. Er hat jedoch diesen Diagnose-Amp benutzt, um sein Training zu verbessern und seinen Körper Tag für Tag ein Stückchen näher an seine Grenzen zu führen. Mit Hilfe reiner Willenskraft und präziser mentaler Kontrolle hat er sich zum Prototypen einer neuen Spezies gemacht.
Diese Gedanken schießen mir durch den Kopf, als Brain seine mächtigen Arme ausbreitet. Langsam schüttelt er seinen großen Kopf; die Sehnen an seinem Hals sind so dick wie mein Bizeps. Er ist nur ein Mensch, sage ich mir im Stillen.
Und er hat keinen Zenith.
Egal, wie bizarr ein Körper aussieht: Er ist immer nur eine Verlängerung des Geistes. Und geistig bin ich Brain gegenüber klar im Vorteil.
»Lass mich durch, Brain. Du weißt, wozu ich fähig bin.«
Auf seinem Gesicht breitet sich ein rosafarbenes Lächeln aus. »Ja. Und ich weiß, wozu du nicht fähig bist«, erwidert er.
Seine verträumte Miene erinnert mich an seinen Kampf mit Blade. Laut Lyle hat Brain sich damals bewusst von allen anderen äußeren Wahrnehmungen abgeschirmt, war praktisch allein mit seinem Gegner in der verrauchten Halle. Also konzentriere auch ich mich jetzt ganz auf das Gesicht des Kolosses vor mir und versuche, die am Boden liegenden alten Männer um uns herum zu vergessen. Lasse die Umgebung einen neutralen Grauton annehmen, so dass mich nichts mehr ablenkt. Sogar meine Trauer um Jim verbanne ich aus meinen Gedanken.
Meine Sicht der Welt ist plötzlich wie geläutert.
Ich tue so, als wollte ich links an dem Hünen vorbei, um so auf der anderen Seite an ihm vorbeizukommen. Doch der ehemalige Footballspieler fällt nicht auf meine Finte herein. Mit stahlhartem Griff packt er mich hinten am Kragen und hebt mich in die Höhe. Mein Kragen schnürt mir erst die Luft ab und reißt schließlich ein, so dass ich hart auf allen vieren lande.
Kurz erblicke ich einen schwarzen Motorradstiefel und rolle mich zur Seite, da der Stiefel sicher gleich wieder niederfahren wird wie ein Presslufthammer. Ich schaffe es nur fast. Der Absatz zerquetscht die Fingerspitzen meiner linken Hand. Mir
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