Das Implantat: Roman (German Edition)
bekomme ich immer noch ein flaues Gefühl im Magen. Zwischen den kühlen Betonwänden im Innern des halb fertigen Baus öffnet Jim den rostigen Erste-Hilfe-Kasten und legt sich Desinfektionsmittel, Wattebäusche und Mullbinden zurecht.
Hier drinnen hört sich der Lärm der Menschen draußen wie fernes Verkehrsrauschen an, aus dem manchmal ein wütender Ausruf hervorsticht wie der Ton einer Hupe. Vor dem Gebäude stehen ein paar der alten Männer, rauchen Zigaretten und versuchen, sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen.
»Habt ihr den anderen Zenith-Träger gerettet?«, fragt Jim.
»Wir … nein«, antworte ich.
»Jim …«, beginne ich dann, halte jedoch sofort wieder inne. Ich weiß nicht, wie ich es ihm beibringen soll, aber eine gute Methode gibt es da wohl nicht. Manchmal ist die ungeschminkte Wahrheit das Beste. »Lyle ist derjenige, der die Zenith-Träger umbringt. Astra ist nicht zu unserem Schutz da. Ist die Organisation auch nie gewesen. Lyle will eine Kettenreaktion auslösen …«
Als ich Jims Gesichtsausdruck sehe, verstumme ich.
»Es ist zu spät«, sage ich.
Jim war gerade dabei, mit einem der Wattebäusche meine Schnittwunde zu säubern. Jetzt hält er inne.
»Die Kacke ist am Dampfen«, sagt er. »Vaughns Anhänger haben die Bombenanschläge zum Anlass genommen, im gesamten Land über Viertel herzufallen, in denen Amps wohnen. Joe Vaughn selbst ist hierhergereist, um die Stimmung anzuheizen«, erklärt Jim, während er meine Hand hin- und herdreht, um sich die Wunde anzusehen. »Er hat sich vor dem alten Postamt aufgebaut, kaum eine Meile von hier, und wiegelt die Leute immer weiter auf. Ich weiß nicht, wie wir …«
Jims Worte werden vom ansteigenden Lärm der Demonstranten verschluckt. Der Maschendrahtzaun klirrt, als würde eine Affenhorde daran rütteln.
»Die sind gleich hier drin«, stelle ich fest und schaue mich vergeblich nach einem guten Fluchtweg um. »Wenn wir sofort abhauen, haben wir vielleicht eine Chance.«
»Ich wollte nicht, dass das passiert. Aber das bedeutet nicht, dass ich mich jetzt einfach so aus dem Staub machen kann.«
»Was sollen wir denn tun?«, frage ich.
Jim lässt meine Hand los, nachdem er sie sorgfältig verbunden hat. Lässt den Blick über die Baustelle schweifen, betrachtet die besorgten Gesichter seiner Kollegen. Mit grimmiger Miene wendet er sich schließlich wieder zu mir um. Am Unterarm seines Exoskeletts springt ein schmales Sägeblatt hervor.
»Wir kämpfen«, sagt er.
Seite an Seite stehen die alten Männer im unvollständigen Schatten des halb fertigen Gebäudes. Unter ihren glänzenden Exoskeletten schauen ihre schmutzigen Jeans und ausgewaschenen Flanellhemden hervor. Ihr faltigen Mienen sind finster. Sie haben ihre Klingen und elektrischen Sägen ausgefahren, die in der drückenden Hitze ein insektenartiges Summen von sich geben.
Jim und ich schließen uns ihnen an, als die Demonstranten gerade den Rest des Zauns niederreißen. Brüllend strömen sie auf die Baustelle und bewaffnen sich mit Brettern und Rohren. Lyles Männer leisten tapfer Gegenwehr. Sie kämpfen nicht auf die fahrige, roboterhafte Weise von Zenith-Trägern, sondern lassen auf altmodische Art ihre Fäuste sprechen. Schnelle Reflexe gepaart mit echter Wut.
Auch die Polizisten, die draußen bei der Menge standen, kommen mit rein. Ihre Schilder zu einer festen Wand geschlossen, marschieren sie mit ihren Bein-Exos über den am Boden liegenden Zaun hinweg. Ihre Waffen lassen sie vorerst noch stecken, haben dafür aber ihre Schlagstöcke gezückt. Wie römische Legionäre krachen sie in die Reihen der jugendlichen Amps mit ihren bunten Lämpchen am Kopf. Eine echte militärische Ausbildung haben Lyles Soldaten nicht genossen, doch sie sind flink wie Wiesel und weichen nach einem gelandeten Treffer dem brutalen Gegenschlag geschickt aus.
Den Polizisten folgen weitere Demonstranten, eine gesichtslose Masse aus erhobenen Fäusten und hochroten Köpfen. Wie von einer Flutwelle werden die alten Männer nach hinten gespült. Der Ansturm macht das Kämpfen schwierig.
Jim schüttelt mit schwingenden Armen einen pummeligen Typen mit einem Macho-Schnurrbart ab. Auch mich versucht einer der Demonstranten zu packen, und Jim erwischt ihn aus Versehen mit seiner elektrischen Säge am Unterarm. Erschrocken starrt der Mann auf den blutenden Schnitt, wird im nächsten Moment aber schon von der Menge beiseitegedrückt und stolpert mit an die Brust gedrücktem Arm davon.
Die
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