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Das Implantat: Roman (German Edition)

Das Implantat: Roman (German Edition)

Titel: Das Implantat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel H. Wilson
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Wand aus schwitzenden, schreienden Menschen rückt immer näher. Jim und ich weichen Seite an Seite nach hinten und drücken dabei die auf uns einstürmenden Angreifer von uns weg. Wir schlagen nur zu, wenn es gar nicht anders geht. Manchmal genügt es jedoch schon, wenn Jim mit seiner Säge droht, damit die Attackierenden den Mut verlieren.
    Schließlich fliegen die ersten Steine. Demonstranten, die nicht mit auf die Baustelle gestürmt sind, werfen sie aus sicherer Distanz. Die Geschosse gehen auf Amps und Amp-Gegner gleichermaßen nieder und tragen so zur allgemeinen Verwirrung bei. Ein gezackter Betonbrocken rollt nah an Jims Bein vorbei, die davon abstehenden scharfen Drähte verfehlen nur um Millimeter seine Wade.
    Wir weichen so lange zurück, bis es nicht mehr geht.
    Schließlich stehen wir unter der ersten Etage des Baugerüsts, und unmittelbar hinter uns geht es in die mit rot-weißem Band abgesperrte Unterkellerung hinab. Vor uns kommt die rasende Menge immer näher. Normale Menschen, die vorübergehend den Verstand verloren haben und bei ihrer Raserei von Cops mit Bein-Exos und Brustpanzern unterstützt werden.
    Schon stehe ich so nah an Jim, dass sich die scharfe Schulterkante seines Exoskeletts schmerzhaft in meinen Arm gräbt. Die Welt wird immer kleiner. Selbst mein Zenith kann mir jetzt nicht mehr helfen.
    »Tut mir leid, Jim«, sage ich. »Ich weiß, ich war dazu da, Eden zu beschützen. Aber es sollte wohl nicht sein.«
    »Alles, was ein Mann tun kann, ist kämpfen«, erwidert Jim. »Und du hast gekämpft.«
    Ein Blitz.
    Der Blitz ist so grell und intensiv, dass ich im ersten Moment glaube, ich hätte einen epileptischen Anfall. Ein hoher Ton gellt in meinen Ohren, und mein gesamter Schädel scheint zu vibrieren wie ein Kristallglas, mit dem gerade jemand angestoßen hat. Ich stütze mich an einem Betonpfeiler ab und kämpfe gegen das plötzliche Schwindelgefühl an, das mich erfasst hat.
    Ich würge und übergebe mich gleich darauf.
    Schreie. Trotz des Klingelns in meinen Ohren kann ich Schreie wahrnehmen. Mit verkrampften Schultern wende ich mich von dem Pfeiler ab. Hebe meinen tauben Unterarm und wische mir damit über den Mund.
    »Jim?«, frage ich. Ich kann kaum meine eigene Stimme hören. Die Luft wirkt plötzlich bleischwer, zu dicht, um Schallwellen weiterzuleiten. Ich rieche Rauch.
    Ich blinzle, damit der Staub aus meinen Augen verschwindet, und kann schließlich den Boden unter mir wieder halbwegs erkennen.
    Eine gelbe Lache Erbrochenes ziert die schmutzige Spanplatte vor meinen Füßen. Ich sehe, wie sich ein kleiner Tropfen Blut von meinem Gesicht löst und zum Mittelpunkt der Erde hinabzufallen scheint. Klebrig und feucht kriecht etwas meine Wange hinab, zieht eine dünne Schneckenspur von meiner Schläfe hinunter zu meinem Kiefer.
    »Jim?«
    Ich drehe mich zu Jim um, doch da ist kein Jim. Das Baustellenband ist weg.
    Mit einem Mal begreife ich, was das bedeutet. Unwillkürlich schnürt sich mir die Kehle zu. »Nein«, sage ich, kann das Wort jedoch nicht hören, sondern spüre nur das sanfte Vibrieren der Stimmbänder in meinem Hals.
    Auf allen vieren krieche ich an die Kante der Kellergrube. Ein weiterer Tropfen Blut löst sich von meiner Schläfe und fällt in die Tiefe. Kurz sehe ich bloß einen stummen Wasserfall aus Staub in die Dunkelheit hinabschweben. Hinab, hinab, hinab. Dann sorgt mein Augenimplantat für eine bessere Belichtung, und ich erkenne Jim am Boden der Grube. Er ist zusammengekrümmt wie ein Fötus und streckt einen seiner Arme von sich, als würde er damit immer noch um Balance ringen. Sein Körper ist von Kopf bis Fuß mit weißem Staub bedeckt und wirkt wie ein antikes Steinrelief.
    Ich entdecke kein Blut. Er sieht aus, als sei er dort unten ganz friedlich eingeschlafen.
    Aus irgendeinem Grund muss ich an seinen Wohnwagen denken. Zwei Meilen von hier steht er leer und still da, nur das leise Ticken des Wasserboilers ist zu hören. Durch die Jalousien fällt Sonne herein und trocknet beharrlich die Seiten der alten Zeitschriften auf dem Couchtisch ein winziges bisschen weiter aus. Neben den Heften liegt eine unbeendete Patience. Nun wird sie für immer unbeendet bleiben.
    Ich stehe auf, räuspere mich und schaue mich nach den Angreifern um, die eben noch wie von Sinnen auf uns eingestürmt sind.
    Im Bereich des Eingangstors sprudelt eine dichte Rauchwolke lebhaft gen Himmel. Über meinem Kopf pendelt das letzte Bündel Stahlstreben, das der Kran auf den Bau

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