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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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die Ruhe raubte, ein Mann mit Wissen, der sein Wissen weitergab und es als einen Wert behandelt sehen wollte; der war doch nicht roh und war doch kein Klotz, der konnte zwar jeden beißen, aber doch niemanden totschlagen, das war doch kein Schlagetot, der war überhaupt nichts von dem, was man sich dachte, wenn man an die Nazis dachte, an den Lehrer Kasten oder an den Abdecker und Stadtverordneten und SA-Mann Wolter oder an die Partisanenjäger in Meister Treders Kundenkreis. Gabelbach paßte nicht in die Bilder von den Feuern am zehnten Mai und hatte doch an einem gestanden und völkische Reinigung betrieben. Es ging nicht zusammen.
    »Was brütest du?« fragte Carola. »Mach bitte jetzt keinen Unsinn; ich hab es dir gezeigt, weil ich mit dir reden kann, aber nicht, damit du nun überlegst, wie man Gabelbach den Hals umdreht. Außerdem, es steht alles in seinen Akten, seit zehn Jahren; es liegt auch ein Zettel mit Bemerkungen von Genossin Müntzer drin, Petersilie hat es also gelesen, und wenn die ihn trotzdem im Haus behielt, dann brauchst du keine Drohblicke zu werfen. Ich wollte bloß mal mit dir darüber reden, David.«
    »Aber es zersägt mich trotzdem«, sagte er. »Ich drehe ihm nicht den Hals um. Johanna schon eher; sie hätte es mir sagen müssen. Aber dem nicht, das lohnt sich nicht. – Ich habe mal ein Gespräch gehabt mit so einem. Der hatte einen Leserbrief geschrieben. Ich hatte irgendwas in einer alten Zeitung gesucht, ›Berlin am Mittag‹, glaub ich. Mit halbem Auge sehe ich einen Namen und eine Adresse, Schönhauser Allee. Solange hatte ich das alles wie Nachrichten von einer versunkenen Insel gelesen, aber, Schönhauser Allee, da fährt man dreimalin der Woche durch, Schönhauser Allee war hier, Gegenwart gleich um die Ecke. Der Brief war von einem Kerl, der sich Sorgen machte, weil es nun bald keine Juden mehr geben würde, und da machte er sich Sorgen um seine Kinder, der Volksgenosse Mahlmann in der Schönhauser Allee. Wie soll er seinen Kindern erklären, was Juden sind, wenn’s bald keine mehr gibt, und ob man nicht ein paar Exemplare im Zoologischen Garten zeigen kann. Der war auch noch witzig, der Volksgenosse: Man bräuchte die Juden ja nicht gleich neben den Affen unterzubringen, weil die Affen schließlich Verwandte vom Menschen wären. Und so und hochachtungsvoll und mit deutschem Gruß, Volksgenosse Mahlmann, Schönhauser Allee.
    Ich bin da hingefahren. Ich dachte: Sollte er etwa noch? Aber das dachte ich nicht ernsthaft zu Ende. Und dann war er da: Inzwischen wieder Herr Mahlmann, Facharbeiter in einer Wurstfabrik in Weißensee, aber immer noch dieselbe Adresse.
    Natürlich war er nervös, wechselte zwischen pampig und weinerlich, aber sehr ängstlich war er nicht. Was wollte ich denn? Er hatte seines abgebüßt: Ein Sohn war gefallen, der zweite in Kanada und ließ nichts von sich hören, die Frau auch unter der Erde, und er selbst hatte drei Jahre Bautzen gemacht, das hatte er schriftlich – er hat mir den Entlassungsschein gezeigt, mit einem Schuß Triumph sogar –, was wollte ich denn noch von ihm? In Bautzen war er, weil er jemanden denunziert hatte, tat ihm leid, tat ihm ehrlich leid inzwischen, aber der Leserbrief? ›Was wollen Sie, Kollege, so dachte man eben damals. War natürlich nicht richtig, tut mir leid inzwischen, tut mir ehrlich leid‹, und wenn ich wollte, sollte ich mich in seinem Betrieb erkundigen nach seiner Arbeit, und als er noch ein paarmal Kollege zu mir gesagt hatte, suchte ich das Weite.
    Weißt du, er war ja mein Kollege; der war sicher in der Gewerkschaft, und womöglich machte er gute Wurst, und womöglich aß ich davon in jeder Woche; der war mein Kollege, der Volksgenosse Mahlmann, und Bücherverbrenner Gabelbach ist auch mein Kollege, ist das nicht großartig?«
    »Wenn man das so ausspricht, Bücherverbrenner, klingt das natürlich schrecklich«, sagte Carola Krell, »aber meine Meinung ist, so einer wie dieser gräßliche Wurstmacher war Gabelbach bestimmt nicht. Ich habe in seinem Lebenslauf gesehen …«
    David unterbrach sie. »Natürlich, so einer war er nicht. Er war kein Wurstmacher, er war Philologiestudent, Student der Sprachen und Literaturen; er war nicht in der Arbeitsfront und nicht in der SA, er war nur in den NS-Bund übernommen und eigentlich katholisch Korporierter; der eine war eine ungebildete Drecksau, und er war eine gebildete Drecksau. Keine Angst, Carola, ich mache schon Unterschiede, und wenn du’s wissen willst: Ich

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