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Das Impressum

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Titel: Das Impressum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Welt oder zumindest des sozialistischen Lagers bedroht ist, und zwar, versteht sich, durch die Meinung des jeweilig anderen. Meinst du so etwas, und ob das bleibt?«
    »So etwas auch«, sagte David.
    Fran sah auf den Jungen und lachte. »Manchmal glaube ich doch, der versteht jedes Wort. Komm mal, wie der die Ohren spitzt!«
    »Der spitzt nicht die Ohren«, sagte David, »der hat meine geerbt; wir sind von der spitzohrigen Sorte. Hoffentlich verwächst sich wenigstens das.«
    »Ich weiß nicht, David, ich glaube, du würdest eine ganze Menge vermissen, so ohne Streit. Und wenn dein Sohn mehr von dir geerbt hat als die Form der Ohren, dann wird er es langweilig finden, wenn es nichts zu streiten gibt.«
    »Ja«, sagte David, »aber ich hoffe, das lohnt sich dann mehr als der Zank um ein Häuflein sogenannter unerhörter Bilder.«
    »Ob der nun ganz so nutzlos ist, weiß ich schon nicht mehr«, sagte Fran, »aber eins weiß ich sicher: Wir heben die allerersten Bilder von David für David auf, bis er groß ist, und wenn wir sie ihm dann zeigen und ihm die Geschichte des großen Streits dazu erzählen, und er staunt dann, oder er staunt nicht, oder er lacht dann oder lacht nicht, da werden wir genau wissen, ob sich inzwischen unsere Erbfehler verwachsen haben oder nicht. Aber ich bin sicher, David, er wird staunen, und er wird lachen, und wir auch.«
    »Liebe Frau«, sagte David, »damit bin ich heftig einverstanden.«

10
    Das verstand sich: Eines der unerhörten Jung-David-Bilder hing seither an Gabelbachs Wand. Doch war es nicht mit der üblichen horizontalen Unterschrift versehen, sondern mit einer vertikalen Tabelle, einer Zeittafel: »1958 – Aufgenommen, NBR zum Druck angeboten, Veröffentlichung abgelehnt; 1960 – Erstpublikation in med. Sachbuch ›Der Mensch‹; 1961 – Goldmedaille im Rahmen der ungarischen Aufklärungsschau: ›Die Menschen‹; 1962 – 1. Preis beim sowjetischen Fotowettbewerb: ›Die Größe des Menschen‹; 1963 – Publiziert in NBR-Serie: ›Das neue Menschenbild‹ mit Untertext: ›Ein Mensch – ganz neu!‹; 1964 – von Jury der Ausstellung ›Unsere Menschen‹ zurückgewiesen, Begründung: ›Zuviel Sex!‹; 1965 – DDR-Beitrag zu UNESCO-Kalender ›Menschenkinder‹; 1966 – Prämiiert mit Silberschale der Fotomesse: ›Ein Mensch – wie stolz das klingt!‹; 1967 – …«
    Auf Gabelbachs Tabelle war noch für viele Jahre Platz, und er sagte zu David: »Warten Sie nur, achtundsechzig ist Gorki-Jahr, da geht das Motto vom stolzen Menschen wieder um, da wird Ihre werte Gattin Weiteres kassieren. So betrachtet, ist bei allem Wirrwarr doch gelegentlicher Fortschritt nicht zu übersehen. Wenn ich denke, achtundfünfzig …!«
    Und dabei, dachte David, weißt du längst nicht alles, was achtundfünfzig war! Du weißt wahrscheinlich nicht, hoffentlich weißt du es nicht, daß ich damals verlangt habe, du mögest gefeuert werden, im hohen Bogen an die frische Luft gesetzt, im Geschwindverfahren entlassen aus der Neuen Berliner Rundschau – ich hoffe, du hast keine Ahnung von meiner Weigerung, auch nur einen Tag länger mit dir zusammen zu arbeiten: »Nein, Genossen, das könnt ihr nicht von mir verlangen:ich mit so einem! Da sperre ich mich mitzutun, und ich kann mich nur über euch wundern. Mit Franziskas Bild könnt ihr machen, was ihr wollt, aber das Ding mit diesem Gabelbach, das wird ausgefochten; wer hier schiefliegt, das will ich nun sehen!«
    Bis er es dann sah, verging einige Zeit; die Aufregung hielt die Höhe ihres Anfangs und machte die andere Aufregung, die, von der alles ausgegangen war, die Aufregung um ein paar Kinderfotos, fast vergessen, denn da war es noch um Fragen des Geschmacks gegangen, hier aber ging es nun um Grundfragen der Jahrhundertmitte, um die Wege in die Zukunft und die Wahl der rechten Weggenossen, um Abrechnung mit Vergangenem und das Problem, ob es vergangen sei; es ging um Bündnispolitik, um Kaderpolitik, um Menschenpolitik, um Politik überhaupt, die im Hause NBR und die im Lande DDR, und so ging es heftig um David Groth, zunächst aber ging es um Fedor Gabelbach.
    Um siebzehn Uhr sollte die Leitungssitzung sein; Helga Gengk hatte ihren Streit mit David in die Tagesordnung eingebracht, und David war sicher, das würde nicht sehr lange dauern, da er zurückzustecken bereit war, in dieser Frage jedenfalls, aber nicht in der der Bilder; derentwegen war er nach wie vor zum Kampf entschlossen; er würde sich bei Helga entschuldigen, und dann ran

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