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fühl mich ganz schlapp vor Enttäuschung: Seit meinem ersten Auftrag in diesem Haus habe ich mit ihm zusammen gearbeitet, und nicht schlecht. Es spricht sich schwer aus, aber natürlich war er einer meiner Lehrer, und jetzt …«
»Und jetzt wirst du daran nichts mehr ändern«, sagte Carola, die es nie hatte leiden können, wenn er an seinem Schicksal herumfummelte, wie sie das nannte, »du kannst es zum Glück auch gar nicht; das wäre ja so, als wolltest du das Alphabet vergessen, weil du es bei deinem Herrn Kasten aus Ratzeburg gelernt hast. Und obendrein wollen wir nicht übersehen: Die Geschichte liegt fünfundzwanzig Jahre zurück.«
»Weiß ich doch«, sagte David. »Ich sage ja auch nicht: Vergiß die Liste, um die ich dich vorhin gebeten habe, laß die Erinnerungen an die Kristallnacht ruhen; wer weiß, was wir sonst alles aufscheuchten – ich sage das nicht, aber, hoffentlich ist dir das ebenso unheimlich wie mir, Carola: Ein bißchen denke ich es!«
»Das ist allerdings schlimm«, sagte sie, »dann bereue ich, daß ich dir Gabelbachs Lebenslauf gezeigt habe. Hysterisch werden – das hätte ich allemal auch allein gekonnt.«
David ging zur Tür. »Ehe du mich runtermachst wie in uralten Zeiten, verschwinde ich, ich hab eine Einladung zurLeitungssitzung. Ich komme wegen der Liste, morgen oder so. Und ich komme schon zurecht, Carola!«
Aber das war nur eine Hoffnung, und die trog ihn. Zunächst kam er keineswegs zurecht. Zunächst stiftete er ein großes Durcheinander, weil in seinem Kopfe vieles durcheinander war. In seinem Kopf war wieder einmal wilde Versammlung:
Da erhob sich ein älterer David, einer, von dem man wußte: Der hatte schon ein wenig hingehört auf die Welt und war im Hohen Hause bekannt als der David der Vernunft, und dieser sprach ruhige Warnung vor optischen Täuschungen: Hüten solle man sich, den Vorgang größer zu sehen, als er gewesen sei …
Und schon fuhr ihm einer der jüngeren Davids in den Satz und schwang das Heine-Wort vom Menschenverbrennen, das nach dem Bücherbrand zu gewärtigen sei; und der ältere David mußte den Versammlungsleiter David bitten, ihm das Recht der Rede zu schützen.
Er habe keinen Grund, fuhr also David der Ältere fort, das feurige Vorkommnis zu verkleinern, was er aber zu bedenken habe geben wollen, sei die vielfache Vergrößerung des Ereignisses, die es durch vielfache Projizierung ins Weltgewissen erfahren habe, und da nähme sich plötzlich ein dummer Student wie ein fackelschwingender Riese aus.
Aha, rief es da aus der anderen David-Fraktion, hört, hört, auf einmal sind sie wieder dumm, die Studenten, wo sie eben noch, bei gerad vergangener Gelegenheit, vom Herrn Kollegen David als Lernende eines neuen Typs beschrieben worden seien, als hellwache Vertreter neuen Denkens, aber sicher, da habe das so in den Kram gepaßt, und jetzt passe es wieder in den Kram, das Wort Studenten mit dem Beiwort dumm zu versehen, und dürfe man nun fragen, was sie nach Ansicht des Vorredners David eigentlich und wirklich seien?
Fakten-David ersuchte ums Wort und bekam es, denn er trug seinen Namen, da er ein Anwalt der Sachlichkeit war. Der wollte sich nicht in den Streit um das Studentenwesen mischen,der erkundigte sich nach dem Alter des Beklagten und erfuhr, zwanzig Jahre alt sei Gabelbach gewesen, als er den Kerr ins Feuer geworfen. Fakten-David meinte, unter Umständen sei das ein geringes Alter, unter anderen freilich nicht, und sachdienlich wäre es, herauszufinden, wie es mit den Umständen des Beschuldigten ausgesehen habe zu jener Zeit. Davon wollte eine starke David-Gruppe nichts wissen – einer nach dem anderen standen sie auf und riefen, eines nach dem anderen: Mit zwanzig hatte ich bereits einen Beruf erlernt! Mit zwanzig war ich schon längst Soldat gewesen! Mit zwanzig wäre ich beinahe Vater geworden! (An dieser Stelle verzeichnet das Protokoll Gelächter und Zurufe.) Mit zwanzig, rief es weiter aus den David-Reihen, machte ich selbständige redaktionelle Arbeit! Mit zwanzig hatte ich ein Dutzend marxistischer Werke gelesen! Mit zwanzig wurde ich Parteimitglied! Mit zwanzig galt ich für erwachsen, und niemand wäre auf die Idee gekommen, mich bei Fehlern, die ich machte, mit meiner Jugend zu entschuldigen – was also soll das Gerede vom geringen Alter, wo einer zwanzig war? (Starker Beifall, aber zugleich Wortmeldung von den hinteren David-Bänken:)
Ja, du, David, du warst neunzehnhundertsiebenundvierzig zwanzig, der andere war es
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