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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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nicht immer zueinander wie Minus gegen Plus; zur Kritik kann man nicht einfach nein sagen; wer ihr entgehen will, muß zuerst einmal ja zu ihr sagen, danach erst kann er sie auffangen, indem er sie eine überspitzte nennt.
    Du kennst dich ja aus, David Groth, solltest du Praxis haben? Könnte gut sein, aber behelligt mich doch nicht immer mit solchen Fragen; seht ihr denn nicht, ich habe zu tun!
    Er hatte jetzt zu tun mit Vorschlägen und Einsprüchen, Anfragen und Protesten, erhellenden und grotesken, bissigenund schüchternen, er hatte es mit wachen und wachsamen Menschen zu tun, mit hellwachen Leuten, die es aus sehr verschiedenen Gründen waren; er hatte zu tun mit Besorgnis und Eitelkeit, mit Witz und gelegentlich auch mit Aberwitz, hatte es mit einer Gesellschaft zu tun, die sich in allen ihren Teilen regte und die seine Zeitung, die NBR, als das nahm, was sie sein sollte und sein wollte: als Anschlagtafel neuer Verhältnisse und neuer Gesinnung.
    Und mit jedem Posttag kam David der Bescheid ins Haus: Das war gut, das war schlecht, das war nützlich, das war schädlich, das mußte sein, das müßte sein, das mußte nicht sein, das müßte nicht sein, das ist anders, das wird anders, das muß geändert werden, das ist geändert worden, das denken wir, das glauben wir, das wollen wir, was wollt denn ihr, wie gefiele euch dies, dies gefiel uns nicht, das könnte uns gefallen, das fehlt uns noch, das fehlte uns noch, das wollen wir nicht, das wollen wir jetzt, das hoffen wir, das fordern wir, das machen wir, nun macht auch ihr!
    Wir machen, schrieb David an die Ränder der Briefe und: Das können wir nicht, und zwar aus folgendem Grunde … Und er schrieb: Das sehen wir ein und werden es ändern, und: Dem Hinweis werden wir folgen, und: Die Idee scheint uns nützlich, und: Der Gedanke scheint uns nicht recht brauchbar, weil …, und: Wir gehen der Sache nach.
    Er konnte sich bei seinen Randnotizen fast auf Kürzel beschränken; Christa wußte sie aufzulösen und aus Chiffren ganze Briefe zu machen, und ohne sie hätte die Korrespondenz den Korrespondenten David erschlagen. Aber Christa wachte über den Eingang und schied den Blödsinn auch dann noch aus, wenn das »An den Chefredakteur persönlich« dreimal rot unterstrichen war, und sie wachte über den Ausgang, daß keinem Schreiben die individuelle Farbe fehle.
    Sie entwarf authentische David-Groth-Briefe, und früher hatte sie authentische Johanna-Müntzer-Briefe geschrieben oder authentische Herbert-Bleck-Briefe oder authentische Briefe des dritten Nachfolgers, und ihr Gehalt war da einfachlächerlich. Zum Ausgleich dafür gehörte sie dann wenigstens ins Impressum, dachte David: »Chefredaktion: David Groth; Chefredakteurs-Briefe: Christa Vogel«, aber kaufen kann sie sich auch nichts dafür, und wer liest schon ein Impressum? Dazu mußte man so sein wie der Botenmeister Ratt. Der hatte sich Jahr für Jahr jede Woche kurz nach dem Andruck eine NBR holen lassen und hatte zunächst argwöhnisch den Druckvermerk studiert. »Wer sagt mir denn, daß es über Nacht keine Kompetenzverschiebung gegeben hat, und wer wüßte besser als ich, wie wichtig Kompetenzen sind? Wenn ich die Kompetenzen nicht weiß, schicke ich Eingänge und Umläufe an die falschen Leute. Nein, das Impressum seiner Zeitung muß ein verantwortungsvoller Botenmeister ständig lesen.«
    Er las es nicht nur; er schnitt es auch bei der geringsten Änderung aus; im Laufe der Jahre, die er mit der Rundschau gelebt hatte, war ein stattliches Album daraus geworden.
    Kam David einmal in die Botenmeisterei, mußte er die Sammlung studieren. »Hier, du Berenner Trojas, hier steht alles drin; ich nenne es ein Impressorium, und nachlesen kann man in ihm: Wer, was, wann. Weißt du zum Beispiel noch, wer Kutschen-Meyers dritter Nachfolger gewesen ist? Weißt du, wann die Bildungsleute ihre eigene Abteilung gekriegt haben? Weißt du, was Jochen Güldenstern im Jahrgang vierundfünfzig gemacht hat? Und weißt du, wer in diesem Impressum einmal an der Spitze stehen wird? Ja, das weiß nicht jeder, aber ich zum Beispiel weiß es: Du wirst da stehen – wetten, daß ich mich irre?«
    »Wetten«, hatte David dann immer wieder gesagt, wie schon in seiner ersten Rundschau-Stunde, und erst als er gewonnen hatte, war ihnen eingefallen, daß nie ein Einsatz ausgemacht worden war.
    Da hatte der Botenmeister den allerneuesten Druckvermerk in seine Sammlung geklebt und David das Buch überreicht. »Von Homer ist es nicht

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