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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Freunde sind. Warum rufst du nicht Johanna Müntzer an, wo es um einen Bildhauer geht? Das lichtet ihr das Rentnerleben, wenn sie helfen kann.«
    »War nicht zu Hause. Ihre Hilfe sagt, erst war einer von der Obersten Abteilung da, der Frank, und dann ist Johanna zu einem Minister gefahren, wütend.«
    »Mitteilsame Dame«, sagte David, »aber wütend ist ja nicht neu. Gib mir schon mal die Vorlagen für morgen; wenn ich mit all den Grabsteinen im Kopf Feierabend mache, werde ich trübsinnig.«
    »In der Kurierpost ist auch eine Todesanzeige.«
    »Nimm sie raus, leg sie weg, will ich nicht sehen, mag ich nicht leiden, kann ich nicht ab, jetzt!«
    Christa überhörte das, und David setzte sich an seine Mappen. Ich grüße dich, Leben! hätte er beinahe gerufen, und dann war ihm die Neigung verdächtig.
    Dennoch, die Akten waren Lebenszeichen, sprachen von Prozessen und nicht von deren unwiderruflichem Ende, und so waren sie willkommen, weil man vor ihnen wieder aus der Trübnis in die Tat gefunden hatte.
    Aber das Papier zuoberst des ersten Stapels war schwarzumrändert, ein Kuvert mit den Zeichen des Ministerrats. Die Versuchung, es unter die Erlasse, Beschwerden und Anfragen zu schieben, kam von einer Abart des Aberglaubens her oder auch der Feigheit: Was ich nicht weiß …, also nahm man die düstere Post zur Hand.
    Das traf zwischen die Augen, das saß, denn das kam aus dem Blauen: »Gerhard Rikow … im vierzigsten Lebensjahr … nach langer Krankheit … im bleibenden Angedenken …«
    Da mußte man widersprechen, widerschreien mußte man da: Ich will das nicht glauben, das ist Willkür, Bosheit ist das, verboten ist das, ganz und gar nicht erlaubt, ganz und gar ungerecht, ein wolkenhoher Irrtum, ein Versehen, bitte! Bitte, ein Versehen!
    Mit Gerhard Rikow konnten sie das doch nicht gemacht haben, nicht mit dem. Mit David Groth konnten sie so was nicht machen, nicht mit David Groth.
    Warum nicht, David Groth? Warum nicht mit Gerhard Rikow? Kannst du nicht lesen? Da steht es: Gerhard Rikow, im vierzigsten Lebensjahr. Aus, schwarz umrändert, neununddreißig Jahre alt, da steht es.
    Ja, ich weiß, ich sehe, aber es ist so gemein, so hundsgemein. Ist das ein Elend!
    David wußte, das Elend würde ihn besiegen, wenn er sich so von ihm greifen ließ. Es würde ihn packen, lähmen und in Jammer schlagen. Das Elend hatte guten Grund, sich stark zu fühlen, denn Gerhard Rikow tot, das war ein starker Grund zu allem Elend. Und die Grenzen konnten sich verschieben: vom Jammer um Rikow zum Jammer von Groth. Gerhard Rikow im vierzigsten und David Groth Anfang Vierzig, das gab zu sehr ein Paar, da konnten Verwechselungen unterlaufen und Verschiebung vom Leid zum Selbstmitleid.
    David legte die Karte fort, weit an die Kante seines Tisches. Her mit den Vorlagen jetzt. Wie hast du sie nennen wollen: Lebenszeichen? Lebenszeichen, du Narr, das hast du ins Schwarze getroffen! Aufhören jetzt, anfangen jetzt, wie lautet die erste Beschwerde?
    Es war eine Beschwerde, sehr irdisch, sehr lebensnah, aus einem Staatssekretariat, einer Reportage wegen und wegen übereilter Kritik: »… Die Technologie für die Fertigung von Milch-Plastikbeuteln weist, wie auch uns bekannt, noch einige Mängel auf, aber Eure Darstellung dramatisiert auf eine unseres Erachtens unzulässige Weise. Die Presse soll unserer Meinung nach helfende Kritik üben, aber nicht überspitzen …«
    Haben wir überspitzt? Den Bericht noch einmal ansehen, aber ich kann mir nicht vorstellen, Genosse Staatssekretär, wir könnten auch nur halb so deutlich gewesen sein wie die Hausfrauen in der Kaufhalle neulich früh. Das waren dir vielleicht Überspitzerinnen, Genosse Staatssekretär, diese Hausfrauen da, und Sachen haben die gesagt, Genosse, und nur, weil ihnen aus dem Netz voll Brot und Mehl und Gehacktem die Vollmilch auf die Perlonstrümpfe tropfte.
    »Wenn Defekt-Prozente stimmen«, schrieb David auf den Brief des Staatsdieners, »Beschwerde zurückweisen. Wenn Mängel inzwischen behoben, werden wir das irgendwo rausstreichen. Beste Grüße. G.«
    Eines Tages werde ich doch noch nachsehen, wo das Wort »überspitzt« herkommt. Ich habe den Verdacht, es ist einmal anders gedacht gewesen, als wir es jetzt benutzen. Wir benutzen es nämlich jetzt, um einer Sache die Spitze abzubrechen, einer Kritik zum Beispiel. Können wir nachweisen, sie sei überspitzt, ist sie fast schon nichts mehr wert. Jedem Mittel wird ein Gegenmittel geboren, aber diese Paare verhalten sich

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