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gerade, aber wenn man es richtig liest, tönen doch recht wilde Gesänge heraus. Behaltees, damit du nachschlagen kannst, wie es mit den Kompetenzen steht, und weil es heute in den Mauern von Troja feierlich zugeht, will ich dir sagen: Unter anderen Umständen hätte aus dir ein recht brauchbarer Bote werden können, wetten?«
»Nein, diesmal nicht, Kollege Ratt. Ich sehe, Sie wollen Ihr Album zurück, aber in die Falle kriegen Sie mich nicht. ›Unter anderen Umständen‹ – das ist eine große Falle!«
Die Formel war es wirklich; ein schimmerndes Ding mit breiten festen Zähnen, eine Fangmaschine, um die man neugierig herumstrich, wenn man so war, wie David Groth war.
Was wäre geworden aus David Groth, unter anderen Umständen? Von wann an hätten sie anders sein müssen, um ihn anders zu machen? Wie groß war ihr Anteil an dem, was er war?
Die Fragen hatten den Vorteil des Sinnlosen: Sie konnten sich ewig halten, weil es in alle Ewigkeit keine Antwort auf sie geben würde, die mehr als eine Hypothese war. Die Konditionen eines anderen Weges waren nie mehr herstellbar; herstellbar waren nur noch Träume, denen gemeinsam war, daß sie nichts mehr vermochten.
Hier bremste sich David: Unvermögen der Träume, der Träume: Was wäre geworden, wenn …? – das stimmte doch nicht ganz.
Es mußte mehr daran sein als nur die Lust an der Wehmut, wenn fast alle Menschen einmal oder oft an dieser Frage hielten; es mußte ihre Ahnung sein, daß aus solchem Umgang mit Vergangenem Gewinn zu holen sei für künftige Entscheidungen.
Es war doch kein Zufall, daß gerade die Dichter, deren Beruf es war, Ahnungen faßbar zu machen, sie zu Gedanken zu kondensieren und sie einzubringen in die wirkliche Welt als einen weiteren Teil von Welt – es konnte kein Zufall sein, daß gerade sie sich immer wieder auf dieses Was-wäre-geworden-Wenn eingelassen hatten.
Und die Geschichten, die so entstanden waren, zeigten den Realismus der Träumer: Die erinnerten Umstände warenkaum verrückt in diesen Erzählungen, aber den Menschen wurde in ihnen die Chance geboten, sich unter nämlichen Umständen anders zu verhalten.
Unter anderen Umständen – das war nie mehr zu haben, aber ein anderes Verhalten, ein anderes Handeln in ähnlichen Lagen, das ließ sich denken, und Geschichten, die so redeten, sprachen nur zum Schein von Vergangenem, und die Tode, von denen sie erzählten, bekamen ihren Sinn, weil Lebende von ihnen erfuhren – da mochten die sich bedenken, und taten sie es, so hatten auch verspätete Träume etwas erreicht.
Ach, die Falle war zugeschlagen, sie hielt diesen David sehr fest zwischen ihren blanken Zähnen – da mußte erst Christa kommen, ihn zu befreien. »Wenn weiter nichts mehr ist, gehe ich dann«, sagte sie und war schon im Mantel. Sie deutete auf den Trauerbrief an der Schreibtischkante. »Soll ich etwas besorgen, einen Kranz?«
»Blumen«, sagte David, »das ist so eine Redensart: Ich kann es nicht fassen!, aber Rikow, das kann ich wirklich nicht fassen. Stirbt einfach so weg. Ob wir Freunde waren, kann ich gar nicht mal sagen, jedenfalls waren wir keine, die sich gegenseitig besuchen oder mal anrufen, bloß so. Aber es gibt auch Freunde, die darf man so nennen, weil es einem immer wieder sehr gefällt, wenn man sie trifft, auf der Straße oder auf einer Konferenz. Weißt du, Leute, von denen du denkst, wenn du von einer Tagung kommst: Das war nun wieder die reine Zeitverschwendung, aber wenigstens hast du den Gerhard Rikow da getroffen.
Auf der Parteischule haben wir zusammen gewohnt, und Fritz Andermann hat ihn immer einen Windbeutel genannt. Von der Sorte Windbeutel könnten wir eine Menge mehr gebrauchen, und jetzt ist es sogar einer weniger. Hau ab, Christa, sonst heule ich dir noch was vor.«
»Also Blumen«, sagte Christa und ging.
Windbeutel, das war überhaupt nicht zutreffend, da hat sich Fritze Andermann gründlich vertan. Aber natürlich, dem mußte Rikows sagenhafter Optimismus verdächtig sein.»Genosse Rikow ist ein sehr talentierter Kader«, hat Fritz Andermann in seiner Abschlußbeurteilung gesagt, »aber es ist ihm zuzutrauen, daß er lebenswichtige Nachrichten der Flaschenpost anvertraut.«
Der Lehrgang hat über die Anspielung gelacht, auch Gerhard Rikow, und gestört hat sie ihn nicht. »Ich weiß nicht, was du willst«, hat er geantwortet, »meine Post ist doch angekommen.«
Und die Geschichte von Gerhard Rikows Post kam seither einer Antwort auf die Frage gleich, was wohl
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