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Optimismus sei.
Optimismus, das ist, wenn einer … Hört doch mal zu: Im frühen Frühjahr am Ausgang des letzten Krieges hielten die Russen einen gefangen, der Gerhard Rikow hieß. Der kam aus Meierstorf bei Marnitz in Mecklenburg und war gerade siebzehn geworden. Den hatten sie kaum nach seinem Alter gefragt, als sie ihn in die preußischen Stiefel steckten, und der fremde Soldat, der ihn bald darauf aus den guterhaltenen Stiefeln zog, da die seinen seit dem Aufbruch an der Wolga nicht mehr ganz so gut erhalten waren, fragte auch nicht weiter. Und Gerhard Rikow sagte, als ihm der Märzwind um die Füße blies: »Es wird ja nun bald Sommer.«
Er kam durchaus mit Pantinen zurecht, denn er war aus Meierstorf bei Marnitz. Anderes aber machte ihm zu schaffen: Auch der Hunger, natürlich, denn er wuchs ja noch. Auch der Dreck, denn zu Hause hatte er jeden Sonnabend in der Waschbalge gesessen. Auch die Ferne, denn Meierstorf lag nördlich der Grenze von Brandenburg, und nun wußte er drei Grenzen zwischen sich und Meierstorf, die von Brandenburg, die vom Deutschen Reich und die von Polen dazu.
Aber etwas anderes plagte ihn viel mehr, manchmal nur, aber dann doch sehr: Er konnte sich zu gut vorstellen, wie es jetzt in Meierstorf war. Die dachten dort an ihn und wußten nicht, wo sie ihn denken sollten und wie.
Seine Eltern waren von der Art, die allenfalls: »Ich mag dich leiden!« sagt und von Liebe nicht spricht, weil das kein Wort für einfache Leute ist. Aber daß sie ihn liebten, wußte GerhardRikow gut, zu gut jetzt, denn so konnte er sie sitzen sehen, in der Küche am Abend, müde von der Plackerei und wachgehalten von der Frage: Wo mag der Junge stecken?
Der war vermißt, und das war ein Umstand wie Krankheit auf den Tod. Vermißt, dem fehlte nur wenig zu: verloren. Gefallen, das war: verloren dort und dann, und vermißt war: wohl verloren, aber wann und wo?
Im Krieg stockt mehr als nur der Postverkehr, aber Gerhard Rikow war dies jetzt der größte Verlust, und als er ganz begriffen hatte, was seinen Leuten die Zeit ohne Nachricht und Wissen war, nahm er sich vor, einen Ausweg zu finden.
Er beschloß es geradezu: Hier wird ein Ausweg gefunden!
Nun muß man noch einmal denken: Da war ein Krieg, und der war ohne Gnade. Was Gerhard Rikow noch von ihm sah, waren nach innen gebogene Zaunpfosten und stachliger Draht und Türme, auf denen Wächter hockten. Und vor dem Lager auf der Straße, wohin er am Tage zur Arbeit ging, sah er vom Kriege die, die er hatte schlagen gesollt und die nun nach Westen zogen, um seinesgleichen zu schlagen oder einzufangen wie ihn. Sie fuhren rasch vorbei, und sie marschierten eilig vorüber, und sie sangen, daß es fast unerträglich war. Gerhard Rikow schien es, als sängen sie immer dasselbe Lied, die auf den Panzern und die auf den Pferden, die auf den Lastern und auch die zu Fuß. Es war eine schnelle Melodie, eine ausgreifende in die hohen und tiefen Töne, ein wildes Lied, wie es ihm schien, und von niederdrückender Zuversicht.
»Was singen die?« hatte er einen Sprachkundigen gefragt.
»Du hast Sorgen!« war die Antwort, aber auch eine äffende und haßerfüllte Nachahmung des Gesanges und die Worte des Textes: »Leuchtend prangten ringsum Apfelblüten …« und »… von der Liebsten ein Brieflein geschrieben, das von Liebe und von Heimkehr spricht!«
»Apfelblüten und Heimkehr«, sagte Rikow, »es hört sich viel wilder an.«
»Die werden noch ganz klein werden«, sagte der andere und sagte nur, was alle sagten, »die Apfelblüten kriegen sieaufs Grab im Oderbruch, spätestens. Die denken, die haben uns – die haben uns noch lange nicht, nie!«
Aber Gerhard Rikow wußte, daß sie ihn hatten. Zu lange schon hörte er das Lied über dem Kettenklirren und Dieseldröhnen und dem tausendfachen Schritt. Er erwachte damit und schlief ein mit ihm, und einmal in der Nacht hatte er einen traumnahen Gedanken gehabt: das Lied stiege auf am fernen östlichen Ozean und flöge über den Kolonnen vor bis in den fernen Westen, der Gerhard Rikows Heimat war, und die Kolonnen wären eine, wie das Lied eines war, und die Kolonnen wären unaufhaltsam, wie das Lied unaufhörlich war. Und zwischen ihm und den Eltern in Meierstorf bei Marnitz in Mecklenburg würde es auf lange Zeit keine andere Verbindung geben als den Zug aus Motoren, Waffen, Pferden und fremden Soldaten auf der Straße vorbei am Lagerzaun, und Verbindung war kein treffendes Wort dafür.
Da ging Gerhard Rikow am andern
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